Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 728

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sei ja gar keine Niederlage gewesen. Das habe ich ja immer zu beweisen versucht, daß das Wahlresultat von 1907 für uns keine Niederlage war.[1]

Ich habe mir noch eine Sünde zuschulden kommen lassen. Ich habe den Parteivorstand kritisiert, aber ich habe nicht über neue Aufgaben gesprochen. Man kann von mir nicht mehr verlangen, als ich geben kann. Ich bin zu arm, um nach jedem Parlamentssieg eine neue Taktik zu erfinden. Ich glaube, das alte ist bei uns gut genug. Wenn der Hinweis darauf, noch mehr wie bisher auf die Masse zu bauen, nicht als neue Aufgabe genügt, so befürchte ich, daß alle anderen neuen Aufgaben, die Sie finden, nur schlecht zu unseren Grundsätzen stimmen werden. Genosse Rhein freute sich über den Mut, den der Vorstand bei seiner Entschließung gezeigt hat. Ich bemühe mich auch immer in meiner Tätigkeit, möglichst Mut zu zeigen, ich muß aber sagen, ich freue mich nur über den Mut, der zu etwas Nützlichem und Gutem führt, ich freue mich nicht über den Mut, Dummheiten zu machen. (Heiterkeit.) Es ist nicht meine Absicht und auch nicht meine Gepflogenheit, Begebenheiten aus kleinem vertraulichem Kreise in große Versammlungen zu bringen. Ich habe nicht an den Verhandlungen teilgenommen, nach dem, was ich davon erfahren habe, glaube ich sagen zu dürfen, daß Genosse Rhein doch ein bißchen schief gewickelt war, als er meinte, das Schweigen der radikalen Genossen in der Sitzung der Funktionäre habe ihre Zustimmung bedeutet. Soviel ich weiß, sind die Parteigenossen, die man radikal zu nennen pflegt, derselben Meinung wie ich, daß die Besprechung und Beurteilung so wichtiger Parteiaktionen nicht in das geschlossene Kämmerlein der Funktionäre gehört, sondern vor das Forum der Parteigenossen. (Lebh[afte] Zustimmung.)

Genosse Waigand meinte, der Parteivorstand hätte in der Situation nach dem 12. Januar etwas gegen den schwarz-blauen Block tun müssen, wir hätten überhaupt hauptsächlich gegen den schwarz-blauen Block gekämpft. Ich hatte nicht das Vergnügen, zusammen mit dem Genossen Waigand an Versammlungen teilzunehmen. Ich habe aber versucht, mich auch nach Möglichkeit am Wahlkampfe zu beteiligen. Ich habe in 44 Wählerversammlungen gesprochen. (Bravo!) Das ist kein Verdienst. Ich führe das nur an, um zu zeigen, daß ich Gelegenheit hatte, den Wahlkampf aus der nächsten Nähe zu beobachten. Ich kann daraus schließen, daß der Kampf von uns nirgends so geführt worden ist, wie Waigand meint, es war kein Kampf gegen den schwarz-blauen Block, sondern gegen die bürgerliche Gesellschaft. (Lebhafte Zustimmung.)

Die Liberalen sind immer dort am schlechtesten, wo man gerade hinkommt. (Heiterkeit.) Daraus ergibt sich schon, daß der Liberalismus eben nicht nach den Wahlkreisen zu beurteilen ist, sondern, daß er eine allgemeine Erscheinung des großen Klassenkampfes ist. Ich will gar nicht bestreiten, daß auch innerhalb des Liberalismus noch kleine Schattierungen sein können, aber wir sollten nichts auf äußere Nuancen geben. Es ist unsere Aufgabe, der Masse immer wieder die ausschlaggebenden großen

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[1] Siehe Über den Ausgang und die Lehren der letzten Reichstagswahlen, Rede am 15. März 1907, S. 94 ff.