Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 685

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eine Umwälzung der Kräfteverhältnisse in Europa. Die neue Großmacht sah sich im Westen dem von Rachegefühlen belebten, tief gedemütigten Frankreich gegenüber, und im Osten stand Rußland, das mit scheelen Augen zusah, wie sein einstiger Vasall auf eigenen Füßen zu gehen anfing. Österreichs Gefühle gegen das unter preußischer Fuchtel stehende neue Deutsche Reich waren auch nicht die freundschaftlichsten. Selbst als schon das Bündnis mit Österreich in Sicht war, wußte Bismarck, daß in der österreichischen Diplomatie eine starke legitimistische Strömung existierte, die an Revanche für Königgrätz[1] dachte und die eine günstige politische Konjunktur ans Ruder bringen konnte. Es war deshalb sehr verständlich, daß Bismarck der Ansicht huldigte, die der spätere Reichskanzler, Chlodwig Hohenlohe, in seinen Erinnerungen mit den Worten ausdrückte: „Offen gesagt, freuen wir uns, wenn die Franzosen in Tunis, Westafrika oder im Orient ihre Interessen wahrnehmen und dadurch abgehalten werden, ihre Blicke nach der Rheingrenze zu richten.“[2] Und um ihnen viel Arbeit in Afrika zu bereiten, bot Bismarck auf dem Berliner Kongreß[3] dem Vertreter Italiens die Unterstützung Deutschlands für den Fall an, daß Italien Tunis besetzen wolle, worauf er die Antwort bekam: ob der Fürst Bismarck so großes Gewicht darauf lege, Italien in einen Krieg mit Frankreich zu verwickeln? So fanden die von einzelnen imperialistisch gesinnten Wagehälsen ausgehenden kolonialen Bemühungen nur insoweit die Unterstützung der deutschen Regierung, als das wirkliche oder vermeintliche An-

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[1] In Königgrätz hatte am 3. Juli 1866 die entscheidende Schlacht im Preußisch-Österreichischen Krieg stattgefunden. Dieser Krieg vom 25. Juni bis 23. August 1866 ging um die Vorherrschaft in Deutschland. Er endete mit einer Niederlage Österreichs. Das Ergebnis war die Auflösung des Deutschen Bundes und die Gründung des Norddeutschen Bundes.

[2] Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Im Auftrage des Prinzen Alexander zu Hohenlohe-Schillingsfürst hrsg. von Friedrich Curtius, Zweiter Band, Stuttgart und Leipzig 1907, S. 306.

[3] Gemeint ist die Berliner Konferenz, die vom 15. November 1884 bis 26. Februar 1885 im Reichskanzlerpalais unter Vorsitz von Bismarck stattgefunden hatte. An dem von Frankreich und Deutschland einberufenen internationalen diplomatischen Treffen nahmen Vertreter von 13 europäischen Mächten – Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande mit Luxemburg, Österreich-Ungarn, Portugal, Rußland, Schweden, Norwegen, Spanien – sowie des Osmanischen Reiches und der USA teil. König Leopold II. von Belgien wurde die persönliche Souveränität über Kongo zugesprochen. Außerdem wurden Regularien für die Lösung von Konflikten beraten, die sich bei der Jagd nach Rohstoffquellen und Absatzmärkten abzeichneten. U. a. wurde die Freiheit der Schiffahrt auf dem Kongo und Niger vereinbart, das Verbot des Sklavenhandels deklariert und ein gegenseitiger Verzicht unterschrieben, im Falle eines Krieges in Europa „farbige Truppen“ einzusetzen. Gefordert wurde der „freie Zugang der christlichen Missionen“. Die 38 Artikel umfassende Generalakte ignorierte gänzlich die Interessen der Afrikaner. Es wurden keine Grenzen gezogen, sondern „nur“ Regeln für die Kolonialmächte über die Aufteilung des Territoriums Afrikas südlich der Sahara festgelegt. Der Schriftsteller Joseph Conrad, der 1890 den Kongo-Freistaat bereiste, nannte die Aufteilung des afrikanischen Kontinents „die ekelhafteste Rangelei um Beute, die jemals die Geschichte des menschlichen Gewissens veranstaltete.“ Siehe Geography and Some Explorers. In: The National Geographic Magazine, (New York, NY, USA), Part 1 of 1: Vol. 45 (Mar 1924), S. 272: „…the vilest scramble for loot that ever disfigured the history of human conscience and geographical exploration.“