Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 588

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Parteigenossen, um Ihnen die Hauptsache nur mit zwei Worten zu erwähnen. Die Budgetkommission des preußischen Abgeordnetenhauses hat den Wechselbalg des Herrn Bethmann Hollweg nur auf den Kopf gestellt. Die indirekten Wahlen wurden wieder in die Vorlage hineingefügt, dahingegen an Stelle der gänzlichen Öffentlichkeit der Stimmabgabe eine scheinbare geheime Wahl aber bloß für Urwähler eingeführt, während die Wahlmänner nach wie vor als Vertrauensmänner des Proletariats ihre Stimmabgabe öffentlich vollziehen sollen. Wenn man das Werk der Kommission des preußischen Abgeordnetenhauses mit der Regierungsvorlage vergleicht, so muß man sagen, reaktionär ist das eine genauso wie das andere, das Werk der Kommission des preußischen Abgeordnetenhauses ist nur noch perfider, verlogener, scheinheiliger und noch mehr darauf berechnet, dem Volke Sand in die Augen zu streuen. Das ist kein Wunder, denn das Zentrum hat bei der ganzen Wahlreform Pate gestanden. Es verlohnt sich, dieses Verhalten ein klein wenig unter die Lupe zu nehmen. In der ersten Lesung führte im Plenum des Abgeordnetenhauses der Zentrumsredner Herold nach dem offiziellen Stenogramm in unzweideutiger Weise aus, daß das Zentrum auf dem Standpunkt verharre, „daß das, was das Reich auf dem Gebiet des Wahlrechts durch seine Verfassung seinen Bürgern gewährt hat, auf die Dauer auch in den Einzelstaaten den Bürgern in entsprechender Weise gewährt werden müsse“.[1] Eine Woche später hat das Zentrum dann aber in der Budgetkommission die Forderung des gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts niedergestimmt. Nachdem die Sozialdemokratie in ihrer Presse diesen unerhörten Wortbruch festgenagelt, versuchte das Zentrum sich herauszureden. Die Zentrumspresse stellte es so dar, als sei sie einfach das Opfer der Böswilligkeit anderer Leute geworden. Nach dem Willen des Zentrums hätten wir, so verkündete die Zentrumspresse, alle Schönheiten des Reichstagswahlrechts. Aber die bösen Konservativen hätten nicht gewollt, wenn nicht die indirekte Wahl für die Wahlmänner wieder aufgenommen werde. Aber es sollte der Partei wieder einmal schiefgehen. Einige Tage nach dieser Erklärung kamen Konservative und sagten uns in aller Öffentlichkeit, wie der Kuhhandel zustande gekommen ist. Ein Redner der Konservativen, v. Gescher, sagte auf der Provinzialversammlung des Bundes der Landwirte:

„Das geheime Wahlrecht wurde angenommen. In diesem Stadium der Sache machte uns (den Konservativen) das Zentrum folgenden Vorschlag: ‚Mit der geheimen Wahl sind wir unterlegen, aber es ist uns sehr darum zu tun, daß sie mit uns gehen. Da wollen wir ihnen Konzessionen machen, wenn sie dann später bei der Gesamtabstimmung für uns stimmen.‘ Und da bot uns das Zentrum die indirekte Wahl für die Wahlmänner an, die die Vorlage bisher überhaupt nicht kannte.“[2]

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[1] Siehe Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, III. Session 1910, 2. Bd., Berlin 1910, Sp. 1478.

[2] Das hatte Alfred von Gescher auf der westfälischen Provinzialversammlung des Bundes der Landwirte am 19. März 1910 erklärt, wie die Kölnische Zeitung am 21. März 1910 berichtete. Zitiert nach: Volkswacht (Breslau), Nr. 71 vom 25. März 1910.