Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1108

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II

P Sch Innere Schwächen (Widersprüche) der zweiten Periode

1.

Äußerlich der Bankrott am 4. 8. Innerlich schon seit Jahrzehnten.

Die Internationale war Phrase u. Spektakelstück. Beweis: Schicksale der Maifeier.[1] Nationale Politik der S[ozial]d[emokratie] war: Parlamentarismus. (Organisation, Presse, Kasse, Parteitage, Literatur, Bede[utung] der Wahlen u. der Fraktionen).

Höhepunkt: Dämpfungswahlen.[2]

Produkte u. Grundlagen der Periode: Passivität der Massen, Kritiklosigkeit der Massen. (Jetzt entblößt in den Schicksalen der Parteipresse: Hamburg, Chemnitz, Kiel etc.) Rolle der Masse nur als Piedestal für einige Dutzend Politiker, genau wie bei den bürg[erlichen] Parteien. Politik von der Hand in den Mund, ohne jede eigene Politik.

Die Organisation [ist] zu ihrem Zweck in diametralen Widerspruch geraten: Massenorg[anisation] als Mittel, die Masse zum ohnmächtigen Werkzeug einer Handvoll Funktionäre zu machen.

Der Zwiespalt im Wesen der Arbeiterbew[egung]: Theorie revolutionär, Praxis rein bürgerlich. Daher in der Partei Möglichkeit sowohl für extreme Revol[utionäre] wie für rein bürg[erliche] Elemente (Revisionisten). Beide waren im Recht. Dazwischen Sumpf als natürliches u S Produkt des Widerspruchs. Herrschende Taktik verkörpert in Bebel: Die auseinanderstrebenden Extreme unter einen Hut bringen, den inneren Widerspruch konservieren, die Gegensätze verkleistern. Darin erschöpfte sich u. gipfelte die innere Parteitaktik seit 15–20 Jahren.

[Auf linkem Rand]

Engels Vorwort zu den KlK !![3] Parlamentarismus als einzige Politik.

Dieses alles zum Ideal getrieben in Dlnd. Alle anderen Länder strebten in D[eutschlands] Fußstapfen.

Daher der Guerillakrieg mit dem Revisionismus u. die Pyrrhussiege über ihn.

Symptome vor 4. 8. 14: Versagen bei der Marokkoaffäre,[4] Fiasko des preuß. Wahl-

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[1] Der vom 14. bis 20. Juli 1889 in Paris tagende Internationale Arbeiterkongreß, der Gründungskongreß der II. Internationale, forderte die Abschaffung der stehenden Heere, die Einführung der allgemeinen Volksbewaffnung und erklärte „den Frieden als die erste und unerläßliche Bedingung jeder Arbeiter-Emanzipation“. Er verlangte eine internationale Arbeiterschutzgesetzgebung, besonders den Achtstundentag, das Verbot der Kinderarbeit und Maßnahmen zum Schutze der Jugendlichen und Frauen und forderte die Arbeiter zum Kampf um demokratische Rechte auf. Der Beschluß, am 1. Mai 1890 in allen Ländern Kundgebungen für den achtstündigen Arbeitstag und für die anderen Beschlüsse des Kongresses zu organisieren, wurde zur internationalen Geburtsstunde der Maifeier. In Deutschland legten rd. 200000 Arbeiter die Arbeit nieder.

[2] Für die Stichwahlen im Januar 1912 hatte der Parteivorstand mit der Fortschrittlichen Volkspartei (siehe S. 80, Fußnote 8) ein geheimes Abkommen über gegenseitige Wahlhilfe abgeschlossen. Demzufolge sollte die Fortschrittliche Volkspartei in 31 Reichstagswahlkreisen die sozialdemokratischen Kandidaten unterstützen, während der Parteivorstand sich verpflichtete, in 16 Reichstagswahlkreisen „bis zur Stichwahl keine Versammlung abzuhalten, kein Flugblatt zu verbreiten, keine Stimmzettel den Wählern zuzustellen und am Wahltage selbst keine Schlepperdienste zu verrichten“. Siehe Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. IV, Berlin 1967, S. 395.

[3] Gemeint ist Friedrich Engels: Einleitung [zu Karl Marx‘ „Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850“ (1895)]. In: MEW, Bd. 22, S. 513 ff. – Siehe auch Ermattung oder Kampf. In: GW, Bd. 2, S. 358 ff.

[4] Siehe Rosa Luxemburg: Kriegshetze im Reichstag. In: GW, Bd. 7/2, S. 701 ff.