Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1037

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Die Richtung der Arbeitsgemeinschaft hingegen ist der Sozialismus der Kompromißperiode, des Parlaments- und Reformsozialismus, wie er der politischen Stagnation des Klassenkampfes entspricht. Er ist die Anpassung, der Opportunismus der Arbeiterbewegung in Person, woraus sich auch seine Ohnmacht gegenüber den bürgerlichen Einflüssen in der Arbeiterbewegung erklärt: siehe seinen 20jährigen Guerillakampf gegen den „Revisionismus“ vor dem Kriege und seine Defensive gegenüber der Scheidemann-Richtung seit dem Kriege. Aber gerade als Opportunismus schillert diese Opposition naturgemäß in allen Farben. Wie sie ihrer Zusammensetzung nach alle Schattierungen der Bewegung umfaßt, woraus sich z. T. eben ihre Ohnmacht und Aktionsunfähigkeit erklärt, so schwankt sie auch in der Zeit je nach den Umständen, die diesen oder jenen ihrer Bestandteile das Übergewicht geben, hin und her. Sie war bis zum Ausbruch des Weltkrieges Handlangerin der Rechten, der heutigen Scheidemann-Richtung, indem sie sich in allen entscheidenden Momenten mit ihr gegen die äußerste Linke verband und somit den Kladderadatsch des 4. August mit hat vorbereiten helfen. Sie war gestern und so lange wie möglich nach Ausbruch des Krieges Gefangene der Scheidemänner, deren Fußtritte allein sie zur Trennung bewogen haben. Morgen, wenn stürmische Ereignisse eintreten und die Massen aus ihrem Scheintod auferstehen, wird diese Richtung in wildem Heroismus vorwärtsstürmen. Nie von selbst einer klaren und entschlossenen Politik fähig, folgt sie stets der jeweiligen Stimmung der Massen, statt sie zu führen. Daraus ergibt sich aber, daß dieser von Bebel sogenannte Sumpf von Natur ein wandelbares, ein plastisches Element ist, aus dem die Entwicklung alles Mögliche formen kann. Und es ist das geschichtliche Amt der entschiedenen Linken, als der Hammer zu fungieren, der unermüdlich auf dieses Klastolin einhaut, um es zu der jeweilig erreichbaren äußersten Politik voranzutreiben. Beide: die Opposition der Arbeitsgemeinschaft wie die Richtung der „Internationale“ stellen zusammengehörige Erbstücke der deutschen wie der internationalen Sozialdemokratie dar. Die Arbeitsgemeinschaft ist die Erbschaft der Partei und der Internationalen wie sie ihrer Praxis, ihren Taten, ihrem Organisationsleben nach war, wie sie also logisch zum Bankrott des 4. August geführt hatte. In der Richtung der „Internationale“ ist die Erbschaft der Partei vertreten, wie sie ihrem Programm, ihren Worten, und ihrer Theorie, ihrer historischen Aufgabe nach war und wie sie sich den weiteren historischen Proben gegenüber allein gewachsen zeigen kann. Daher der schroffe Gegensatz der beiden Richtungen, der zugleich den inneren tragischen Konflikt und das eigentliche politische Problem der heutigen Bewegung des Proletariats im ganzen darstellt. Dieses Problem und dieser Konflikt können aber nicht in der mechanischen Weise einer reinlichen organisatorischen Scheidung, sie können nur durch systematischen politischen Kampf, durch offene und ständige Auseinandersetzung der beiden Richtungen innerhalb derselben Bewegung und Partei ausgetragen und schließlich durch die Einwirkung objektiver historischer Bedingungen entschieden werden.

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