Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1035

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vor dem Kriege maßgebend waren, mechanisch fortsetzt, den ganzen welthistorischen Unterschied der Situation aus dem Auge läßt. Nicht aus den heute errichteten Organisationssplittern wird die Sozialdemokratie der Zukunft erstehen. Die Zukunft der deutschen Sozialdemokratie wie der Internationale kann nur durch den Gang der Ereignisse und das Verhalten der breiten Massen entschieden werden. Folgt nach dem Kriege eine Periode der Stille und des Kompromisses, einer „Verständigung“ des Imperialismus, wie sie die Losung der Kautsky – Haase – Ledebour ist, dann wird der Sumpf in der deutschen Arbeiterbewegung wie in der Internationale die ausschlaggebende Richtung sein und die Liquidation der Kriegsperiode wird auch im Lager des Proletariats mit einem Kompromiß enden. Die entschiedene Linke wird dann für längere Zeit eine praktisch wenig einflußreiche Gruppe bleiben und vorwiegend auf die Funktion der Kritik angewiesen sein, wie vor 1914, wenn auch dieses saure Amt mit aller Kraft weiter verrichtet werden muß. Folgt hingegen dem Kriege eine Periode stürmischer Entwicklung unter Beteiligung der Massen, dann ist die äußerste Linke die natürliche Führerin der Gesamtbewegung. Da den kapitalistischen Staaten nach dem Weltkriege finanzielle Schwierigkeiten schier unüberwindlicher Natur bevorstehen, und die Verschärfung der ökonomischen Gegensätze durch den rasenden Fortschritt der Kapitalakkumulation im Kriege sowie der militaristische Druck den äußersten Grad erreichen wird, so ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine lange Periode stürmischer Entwicklung nur eine Frage der Zeit, wobei die Politik der äußersten Linken naturgemäß zur ausschlaggebenden der ganzen proletarischen Bewegung wird.

Die entschiedene Linke stellt somit der Opposition der Arbeitsgemeinschaft nicht ein anderes Programm und eine in ihren Grundlagen ganz verschiedene Taktik entgegen, die jederzeit und als ständige Einrichtung die Basis für eine gesonderte Parteiexistenz abgeben können, sondern sie ist nur eine andere historische Tendenz der Gesamtbewegung des Proletariats, aus der sich allerdings ein verschiedenes Verhalten fast in allen Fragen der Taktik und der Organisation ergibt. Die Meinung jedoch, daß daraus die Notwendigkeit oder auch nur objektive Möglichkeit folgt, die Arbeiter heute in verschiedene sorgfältig getrennte Parteikäfige, entsprechend den beiden Richtungen der Opposition einzupferchen, beruht auf einer Konventikelauffassung der Partei. Es gilt vielmehr die Politik, entsprechend der Auffassung der entschiedenen Opposition, konsequent und tatkräftig auf Schritt und Tritt zu vertreten. Das innere Wesen und die Art der Politik und nicht die äußere Organisationsschranke ist heute maßgebend und entscheidend. Die um die Arbeitsgemeinschaft gruppierte Opposition, die sich einbildet, sich Dank dem Hinauswurf endlich von den Scheidemännern reinlich geschieden zu haben, kann es in Wirklichkeit durch ihre Politik heute so wenig wie sie es gestern konnte. Ihre Parlamentsreden ganz im alten Stil der Friedenszeiten, der Organisationskretinismus und ihre Passivität im ganzen lassen eine grundsätzliche politische Schranke zwischen ihr und der Scheidemann-Richtung, ob in gemeinsamer

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