Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1033

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heute den Zeitpunkt der Spaltung nach eigenem Gutdünken und in eigenem Interesse zu wählen und sie hinter dem Rücken der Massen durchzuführen.

Die organisatorische Spaltung der deutschen Sozialdemokratie, die nunmehr als das Werk der planmäßigen aktiven Politik der bürgerlich-imperialistischen Schicht der Partei durchgeführt wird,[1] stellt die Opposition vor ein Problem, mit dem sie sich von ihren allgemeinen politischen Gesichtspunkten aus abfinden muß. Dieses Problem erscheint wiederum vor jeder der drei Richtungen in der Partei in verschiedener Gestalt.

Das Bestehen der drei Richtungen: der bürgerlich-imperialistischen, der äußersten Linken und dazwischen der breiten Mitte, die von Bebel als der Sumpf bezeichnet worden ist,[2] ist kein Produkt des Weltkrieges und des jüngsten Zersetzungsprozesses der Partei, sondern datiert umgekehrt aus dem letzten Jahrzehnt vor dem Kriege und ist eine der wichtigsten Erklärungen für die Schicksale der Partei seit Ausbruch des Krieges. Aus dem Bestehen dieser drei Hauptstränge der bisherigen Bewegung folgt aber durchaus nicht gegenwärtig die Notwendigkeit und die objektive Basis zur Bildung von drei Parteien.

Die bürgerlich-imperialistische Richtung ist freilich von vornherein Fremdkörper in der proletarischen Klassenorganisation und es fragte sich nur, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Weise ihre Ausscheidung aus der Partei erfolgen sollte. Sie war in der Lage, für sich den günstigsten Zeitpunkt zu wählen und eine Absonderung der proletarischen Elemente vorläufig zu verhindern.

Zwischen den beiden Richtungen der Opposition hingegen: der Richtung der „Internationale“[3] und der Arbeitsgemeinschaft, handelt es sich nicht um zwei ihrem

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[1] Siehe S. 999, Fußnote 3.

[2] Siehe Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Dresden vom 13. bis 20. September 1903, Berlin 1903, S. 319. – Siehe dazu auch Rosa Luxemburg: Nach dem Jenaer Parteitag. In: GW, Bd. 3, S. 350 ff.

[3] Gemeint ist die Gruppe „Internationale“, die sich unter maßgeblichem Einfluß Rosa Luxemburgs, Karl Liebknechts, Franz Mehrings und Clara Zetkins auf der Grundlage der ersten und einzigen Nummer der Zeitschrift Die Internationale vom April 1915 entwickelte. Nachdem sie sich auf die Leitsätze über die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie verständigt hatte, entwickelte sie sich ab ihrer 1. Reichskonferenz Anfang Januar 1916 zur Spartakusgruppe, deren nächste Konferenz am 19. März 1916 in Berlin stattfand. Siehe S. 943 und S. 945. Unter Wahrung ihrer politischen Selbständigkeit und eigener organisatorischer Tätigkeit schloß sie sich der Anfang April 1917 in Gotha gegründeten USPD an. Siehe auch S. 1043. – Ende 1918 faßte Rosa Luxemburg die bewegte Vergangenheit der kleinen Schar des Spartakusbundes wie folgt zusammen: „Der Zusammenbruch der deutschen Sozialdemokratie am 4. August 1914 war des Spartakus Geburtsstunde. Der krachende Bankrott der hergebrachten Parteitaktik, ihr schmählicher Verrat an den heiligsten Aufgaben und Ehrenpflichten des Sozialismus in der großen Stunde der Entscheidung rief sofort die offene und rücksichtslose Rebellion der Spartakusleute auf den Plan. Von ihnen ging schon im August 1914 der erste öffentliche Protest gegen die Schmach der offiziellen Partei aus, der in der italienischen, englischen, holländischen Presse veröffentlicht wurde und der sozialistischen Internationale laut zurief: Hofft und rafft euch auf! Es gibt noch Sozialisten in Deutschland!

Von denselben Spartakusleuten gingen, als die Arbeitermassen noch in der erstarrenden Hypnose des Kriegstaumels dem siegreichen Dahinstürmen des Imperialismus teilnahmslos oder gar jubelnd zuschauten, als über der Partei nach dem Selbstmord des 4. August bleierne Friedhofsruhe lag, die ersten Versammlungen in Berliner Vororten – in Steglitz, Mariendorf, Charlottenburg, Neukölln – aus, die ersten Konferenzen in Stuttgart, Frankfurt a. M., Leipzig, die ersten Signale zur Sammlung gegen die offizielle Partei, die ersten Auseinandersetzungen Auge in Auge mit den Verrätern des Sozialismus und der Internationale.“ Siehe Die Reichskonferenz des Spartakusbundes. In: GW, Bd. 4, S. 475 f.