Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1018

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Sie wollen mich schon verlassen, gnädige Frau? O bitte, noch ein Weilchen! Sie schauen fragend auf mein verschmitztes Lächeln, auf meine Blicke nach oben? Ja, dort oben kommt noch ein Hauptstück der Vorstellung, die ich so frei war, für Sie zu bestellen … Sehen Sie, wie sich dort hoch – hoch am Himmel leichte rosige Wölkchen sammeln? Gott weiß, woher sie kommen! Der Himmel war ja klar u. blau, nun wimmelt er ganz von kleinen Wimpeln, die im zartesten Rosa leuchten, – so friedlich wie ein Lächeln, so ganz anders als die roten Morgenwolken. Die dunkle Glut vor Sonnenaufgang hat etwas von Geburtswehen, von düsterer Tragik der Ahnung. Diese Abendwölkchen hier sind wie unschuldige, spielende Kinder, wie die Töne vom Angelus-Glöcklein einer stillen Dorfkirche.

Der ganze Himmel wogt u. lächelt in Rosa. Die Bühne ist gezimmert, das Spiel kann beginnen. Zirr – Zirr! Hören Sie die metallischen Töne aus der Höhe, wie eine feine silberne Schraube? Und sehen Sie die dunklen Schleifen aufblitzen in schwindelnder Höhe? Es sind die Schwalben! Als letzte Gäste des Tages führen sie jetzt im Herbst jeden Abend unter rosigen Wolken ihr munteres Luftspiel auf, bevor sie uns Valet sagen u. nach Ägypten, nach Mexiko verreisen. Wie kühn u. fröhlich frei stürzen sie sich und schießen durch den leuchtenden Raum! Zirr – Zirr! Klingt es immerzu in der Höhe – ade! ade! Wir scheiden bald, doch kommen wir nächstes Jahr wieder! Zirr – Zirr! …

Mörike behauptet, daß die Schwalben „singen“ können, u. zwar auf einem Baum sitzend. Kennen Sie sein Gedicht „Ein Stündlein wohl vor Tag“?[1]

Derweil ich schlafend lag,

Ein Stündlein wohl vor Tag,

Sang vor dem Fenster auf dem Baum

Ein Schwälblein mir – ich hört’ es kaum,

Ein Stündlein wohl vor Tag:

Hör an, was ich Dir sag’,

Dein Schätzlein ich verklag’:

Derweil ich dieses singen tu’,

Herzt er ein Lieb in guter Ruh’,

Ein Stündlein wohl vor Tag.

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[1] Siehe Eduard Mörike: Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Bd. 1/1: Gedichte. Ausgabe von 1867. Erster Teil. Text. Hrsg. von Hans-Henrik Krumacher, Stuttgart 2003, S. 28.