Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 968

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Danach dürfte für den Parteivorstand der Wunsch bestehen, eine allgemeine Aussprache über die Lage der Partei herbeizuführen, um gleich mit seinen Widersachern abzurechnen. Die Stellung der Partei zum Kriege auszuschalten, aber dennoch sich die Zustimmung für seine Haltung bei der Konferenz einzuholen. Da die Konferenz eine Neuheit für die Partei ist, die im Statut der Partei keinen Boden findet, so kann sie auch unmöglich Beschlüsse fassen, die zur Kompetenz des Parteitags gehören. Es darf also kein Bericht des Parteivorstands, der Kontrollkommission und der Fraktion gegeben werden. Es dürfen keine Neuwahlen des Vorstands und der Kontrollkommission vorgenommen werden und kein Beschluß über Parteiorganisationen und das Parteileben berührende Fragen vorgenommen werden. Welchen Wert hat dann lediglich eine Aussprache? Die Bedeutung unsrer Parteitage liegt darin, daß jeder Parteigenosse sie als oberste Instanz respektiert, die Zusammensetzung geordnet ist und deshalb ihre Beschlüsse für jeden Parteigenossen bindend sind. Eine solche moralische Kraft wohnt einer Konferenz nicht inne, deshalb kann auch die Aussprache nicht viel fruchten. Ist aber überhaupt eine Aussprache möglich, ohne die Kriegsfrage zu berühren, ohne die Gegensätze auszutragen? Das muß verneint werden. Denn die Gegensätze in der Partei gehen doch von der Stellung zum Kriege aus. Von der einen Seite wird die Zeit als gekommen angesehen, mit den bürgerlichen Parteien gemeinsam „praktische Arbeit“ zu leisten, sich neu zu orientieren, umzulernen, und folgerichtig mit den Grundsätzen und Beschlüssen der Partei aufzuräumen. Auf der andern Seite wird verlangt, den Kampf nach den Grundsätzen des Parteiprogramms, den Beschlüssen der Parteitage und der internationalen Kongresse zu führen. Steht doch im Programm nach der Darlegung der Umwandlung der Produktionsweise:

„Diese gesellschaftliche Umwandlung bedeutet die Befreiung nicht bloß des Proletariats, sondern des gesamten Menschengeschlechts, das unter den heutigen Zuständen leidet. Aber sie kann nur das Werk der Arbeiterklasse sein, weil alle anderen Klassen, trotz der Interessenstreitigkeiten unter sich, auf dem Boden des Privateigentums an Produktionsmitteln stehen und die Erhaltung der Grundlagen der heutigen Gesellschaft zum gemeinsamen Ziel haben.

Der Kampf der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Ausbeutung ist notwendigerweise ein politischer Kampf… Diesen Kampf der Arbeiterklasse zu einem bewußten und einheitlichen zu gestalten und ihm sein naturnotwendiges Ziel zu weisen – das ist die Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei.[1]

Niemals hat die kapitalistische Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die Ausbeutung der Arbeitskraft, Verteuerung der Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände so krasse Formen angenommen, niemals sind in so kurzer Spanne Zeit Milliarden dem Volke abgenommen worden, wie in den zwei Jahren dieses Krieges. Will der Parteivorstand auf der Konferenz darlegen, daß er alle Mittel erschöpfen will, um den

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[1] Siehe Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. In: Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Erfurt vom 14. bis 20. Oktober 1891, Berlin 1891, S. 3. – Hervorhebungen und Auslassung von Rosa Luxemburg.