Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 924

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-7-2/seite/924

27. März Heute Nacht ist großer Schneefall gewesen, wieder ganz kalt.
31. März Thee!
1. April 6 Wochen. Fräulein Jacob ist nach Thüringen verreist.
2. April

Gestern Abend sind von Frau Rosenbaum Blumen gekommen.

Narzissen, Anemonen, Maiglöckchen, Vergißmeinnicht.

Heute fange ich wieder an zu botanisieren.[1]

3. April (Sonnabend) Heute hat mich Fanny Jer. [Jezierska] besucht.
6. April

Um zwei Uhr wiederholt heftiger Donner! Ein richtiges Gewitter.
Der Blitz hat in der Nähe eingeschlagen. Zwei Menschen sind

getötet worden.

7. April 54,5 Kilo.
8. April 7 Wochen. Seit dem Gewitter regnet’s jeden Tag.
9. April Heute kam die Fotografie Mimi’s von Fräulein Jacob.[2]

[1] Siehe Rosa Luxemburg: Herbarium, Róz˙a Luksemburg Zielnik, Vorwort: Jörn Schütrumpf, Berlin, November 2009, Kommentar von Hanna Werblan-Jakubiec/Jakub Dolatowski, Warschau November 2009, rls. C by this edition Fundacja im. Róz˙y Luksemburg Przedstawicielstwo w Polsce, 1. Auflage o. D. [2010], S. 231 ff. – Rosa Luxemburg: Herbarium. Hrsg. von Evelin Wittich, mit einer Einleitung und einer Auswahl an Briefen von Holger Politt, Berlin 2016. – Siehe auch Rosa Luxemburg: Herzlichst Ihre Rosa. Ausgewählte Briefe. Hrsg. von Annelies Laschitza und Georg Adler, Berlin 1989, 2. Auflage 1990 (14 Farbreproduktionen aus dem Herbarium); Annelies Laschitza: Im Lebensrausch, trotz alledem, S. 422 ff. und S. 505 f.

[2] „Mimis Bild hat mich schrecklich gefreut“, schrieb sie an Mathilde Jacob nach Jena, „ich muß immer lachen, wenn ich es anschaue; diese Szenen ihrer Wildheit, wenn jemand einen ‚Annäherungsversuch‘ unternimmt, habe ich so oft erlebt, daß ich sie fast knurren höre bei dem Anblick des Bildchens. Es ist vorzüglich gelungen; und auch für den jungen Arzt, der so viel Interesse meiner Mimi erweist, habe ich von vornherein die lebhafteste Sympathie. Für die Blumen einen ganz besonderen Dank, Sie wissen gar nicht, welche Wohltat Sie mir damit erweisen. Ich kann nämlich wieder botanisieren, was meine Leidenschaft und beste Erholung nach der Arbeit ist. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen meine Botanisierhefte schon gezeigt habe, in denen ich vom Mai 1913 ab etwa 250 Pflanzen eingetragen habe – alle prächtig erhalten. Ich habe sie alle hier, ebenso wie meine verschiedenen Atlanten, und nun kann ich ein neues Heft anlegen, speziell für die ‚Barnimstraße‘. Gerade alle die Blümchen, die Sie mir geschickt haben, hatte ich noch nicht, und nun habe ich sie ins Heft gebracht; besonders freut mich der Goldstern (das gelbe Blümchen im ersten Brief) und die Kuhschelle, da man dergleichen hier bei Berlin nicht findet. Auch die zwei Epheublätter der Frau von Stein sind verewigt – richtig hatte ich Epheu noch nicht drin (Hedera helix auf Latein); ihre Abstammung freut mich doppelt. Außer dem Leberblümchen waren alle Blumen sehr ordentlich gepreßt, was beim Botanisieren wichtig ist.

Ich freue mich für Sie, daß Sie so viel sehen; für mich wäre das eine Strafe, wenn ich Museen und dergleichen besuchen müßte. Ich kriege dabei gleich Migräne und bin wie gerädert. Für mich besteht die einzige Erholung im Schlendern oder Liegen im Grase, in der Sonne, wobei ich die winzigsten Käfer beobachte oder auf die Wolken gaffe. Dies ad notam für den Fall unserer künftigen gemeinsamen Reise. Ich würde Sie nicht im geringsten stören, alles zu besuchen, was Sie interessiert, aber mich müßten Sie entschuldigen. Sie vereinigen freilich beides, was ja am richtigsten ist.

Ein Bild der Lady Hamilton habe ich gesehen in der Ausstellung der Franzosen des XVIII. Jahrhunderts; ich weiß nicht mehr, wie der Maler hieß; habe nur die Erinnerung einer kräftigen und grellen Mache, einer robusten, herausfordernden Schönheit, die mich kalt ließ. Mein Geschmack sind etwas feinere Frauentypen. Ich sehe noch lebhaft in derselben Ausstellung das Bild der Madame de Lavalière von der Lebrun gemalt, in silbergrauem Ton, was zu dem durchsichtigen Gesicht, den blauen Augen und dem hellen Kleid wunderbar stand. Ich konnte mich kaum trennen von dem Bilde, in dem das ganze Raffinement des vorrevolutionären Frankreichs, eine echt aristokratische Kultur mit einem leichten Anflug von Verwesung verkörpert war.

Fein, daß Sie Engels ‚Bauernkrieg‘ lesen. Haben Sie den Zimmermannschen schon durch? Engels gibt eigentlich keine Geschichte, sondern bloß eine kritische Philosophie des Bauernkrieges; das nahrhafte Fleisch der Tatsachen gibt Zimmermann. Wenn ich in Württemberg durch die schläfrigen Dörfer zwischen den duftenden Misthaufen fahre und die zischenden Gänse mit langen Hälsen unwillig dem Auto weichen, während die hoffnungsvolle Dorfjugend einem Schimpfworte nachruft, kann ich mir nie vorstellen, daß einmal in denselben Dörfern Weltgeschichte mit dröhnendem Schritt ging und dramatische Gestalten sich tummelten. Ich lese zur Erholung die geologische Geschichte Deutschlands. Denken Sie, daß man in Tonplatten aus der algonkischen Periode, d. h. aus der ältesten Zeit der Erdgeschichte, bevor noch jegliche Spur organischen Lebens war, also vor ungezählten Jahrmillionen, daß man in solchen Platten in Schweden Abdrücke von Tropfen eines kurzen Platzregens findet! Wie auf mich dieser ferne Gruß der Urzeiten magisch wirkt, ich kann Ihnen nicht sagen. Nichts lese ich mit solcher Spannung wie Geologie.

Zur Frau von Stein übrigens, bei aller Pietät für ihre Epheublätter: Gott straf mich, aber sie war eine Kuh. Sie hat sich nämlich, als Goethe ihr den Laufpaß gab, wie eine keifende Waschfrau benommen, und ich bleibe dabei, daß der Charakter einer Frau sich zeigt nicht, wo die Liebe beginnt, sondern wo sie endet. Von allen Dulcineen Goethes gefällt mir auch nur die feine zurückhaltende Marianne von Willemer, die ‚Suleika‘ des ‚Westöstlichen Diwans‘.“ Siehe GB, Bd. 5, S. 52 ff.

Nächste Seite »