Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 922

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7. März Seit drei Tagen Regenwetter, nicht aus der Zelle gekommen.
12. März Das war der schöne Tag zu Hause.
13. März Das war der zweite schöne Tag.[1]
15. März 55 Kilo.

[1] Zu den Bemerkungen von zwei schönen Tagen am 12. und 13. März schrieb Mathilde Jacob ebenfalls im Volksboten vom 15. Januar 1927: „Rosa durfte unter Assistenz einer sehr nachsichtigen Beamtin zu Hause ihre Sachen ordnen. Sämtliche Freunde stellten sich ein, um Rosa die Hand zu drücken.“ In ihren Erinnerungen hielt sie fest: „Um sie zu empfangen, traf ich einige Vorbereitungen in der Südender Wohnung. Als ich ein Auto hörte, eilte ich auf die Straße, Rosa Luxemburg zu begrüßen. ‚Das habe ich mir so gedacht, daß Sie mich erwarten würden‘, sagte sie und umarmte mich. Bald gesellten sich Leo Jogiches und Karl Liebknecht zu uns. Paul Levi, Rosa Luxemburgs Verteidiger vor der Frankfurter Strafkammer, dem sie seit diesem Prozeß freundschaftlich verbunden war, wollte sich die günstige Gelegenheit, seine Klientin sehen und sprechen zu können, nicht entgehen lassen und war mit einem Frühzug aus Frankfurt gekommen. Auch Franz Mehring fand sich ein, und noch einige andere politische Freunde drückten Rosa Luxemburg im Laufe des Tages die Hand.

Als wir beieinander saßen, wurden Gefängnisepisoden erzählt. Karl Liebknecht berichtete von seiner Glatzer Festungszeit und von seines Vaters Gefängnissen, Leo Jogiches von seinen und Rosa Luxemburgs Kerkern in Polen und Rußland. Paul Levi konnte zu jener Zeit nur von einer Karzerstrafe aus seiner Berliner Studienzeit berichten, während Franz Mehring damals noch ‚gänzlich unbescholten‘ war. Es waren zwei frohe Tage, die einen bittern Nachgeschmack hatten, als unsere Freundin Abschied nahm. Sie tröstete uns lächelnd. Wir winkten dem Auto, das sie entführte, vom Balkon aus zu.

Der begleitenden Gefängnisaufseherin war untersagt worden, jemanden von uns im Auto mitzunehmen. Karl Liebknecht, in seiner göttlichen Unbekümmertheit um erlaubte und unerlaubte Dinge, sprang in den abfahrenden Wagen hinein, und die während beider Tage von Liebknechts Liebenswürdigkeit und Ritterlichkeit entzückt gewesene Aufsicht wehrte die Begleitung nicht ab.“ Siehe Mathilde Jacob: Von Rosa Luxemburg und ihren Freunden in Krieg und Revolution 1914–1919, S. 449.

Nach dem Bericht des Berliner Polizeipräsidenten von Jagow an den Minister des Innern hieß es darüber am 20. März 1915: Rosa sei „von der Gefängnisverwaltung am 12. d. Mts. von vormittags 9 bis abends 6 Uhr und am darauffolgenden Tage von vormittags 10 bis abends 5 Uhr in ihre Wohnung beurlaubt worden. Dort empfing sie die Genossen Mehring, Duncker, Liebknecht, Eugen Ernst u. a., mehrere Genossinnen, darunter Frau Liebknecht, sowie ihren Verteidiger Dr. Levi aus Frankfurt a. M., von denen sie unter Küssen und Umarmungen Blumenspenden und die Versicherung entgegennahm, daß ihr Märtyrertum für die Sozialdemokratie von dieser niemals werde vergessen werden. Über den Inhalt der Gespräche zwischen der Luxemburg und ihren Gästen, sowie über die zahlreichen von ihr bei dieser Gelegenheit geführten telephonischen Unterredungen hat nichts in Erfahrung gebracht werden können, da die sie bewachende Gefängniswärterin sich zumeist im Nebenzimmer aufhielt.

Da meines Erachtens gerade der Luxemburg gegenüber kein Anlaß zu bevorzugender Behandlung gegeben ist, habe ich auf diese Bevorzugung behufs etwaiger weiterer Veranlassung aufmerksam machen zu müssen geglaubt.“ Siehe RGASPI, Moskau, Fonds 191, Bl. 43 und 43 R. Danach entspann sich bis März 1916 zwischen dem Innenminister, dem Justizminister, dem Polizeipräsidenten und dem Oberreichsanwalt beim Kammergericht über Ursache und Ausmaß der Verletzung von Aufsichtspflichten gegenüber der Rosa Luxemburg eine rege Korrespondenz. Siehe ebenda, Bl. 44 ff. und 89 R ff.

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