heute in so abschreckender Form zeigt, hat er schon vor zwei Menschenaltern klar erkannt.
Aber Marx ist auch ein klassischer Zeuge für die andere Seite der englischen Politik. Marx hat mehr als dreißig Jahre in England gelebt und die englische Politik bald mehr, bald weniger bekämpft, ohne daß ihm je als „lästigem Ausländer“ ein Haar gekrümmt worden wäre. Nur auf englischem Boden konnten Marx und Engels ihr unsterbliches Lebenswerk vollbringen. Als die Revolutionäre des Jahre 1848 von allen Staaten des Festlandes wie tolle Hunde gehetzt wurden, da wurde England die „Heimat der Guten“; ein englischer Minister stürzte ehr- und ruhmlos, als sich herausstellte, daß er den Briefwechsel eines italienischen Flüchtlings hatte überwachen lassen. Das Haus des Engländers ist seine Burg, die keine polizeiliche Willkür antasten darf, so wenig wie die Freiheit seiner Rede oder seiner Schrift. Genug – wenn England die ausbeuterischen Tendenzen des Kapitalismus auf die Spitze getrieben hat, so hat es doch auch die Grundsteine der bürgerlichen Zivilisation gelegt, die von ihm erst auf das Festland gewandert ist.
Das braucht keineswegs als mildender Umstand für die Art seiner Kriegführung geltend gemacht werden. Im Kriege geht es eben her wie im Kriege; der Feind, der vernichten will, fordert selbst das Schicksal heraus, vernichtet zu werden. Aber das zivilisatorische Erbe der englischen Politik wiegt dennoch schwer in der Waage des Kriegsglücks; es schafft der englischen Sache, zumal in den neutralen Staaten, die Sympathien, mit denen wir augenblicklich so schwer zu kämpfen haben. Und diesen Kampf erschweren wir uns selbst, wenn wir, nun gar im Gegensatz zu Rußland, in England unsern Erb- und Erzfeind sehen.
Das ist eine verhängnisvolle Parole, vor der sich die Arbeiterpresse um so mehr hüten sollte, je eifriger sie gerade von denjenigen Blättern kolportiert wird, die in den Tagen vor dem Kriege die Arbeiterbewegung am heftigsten bekämpft haben.
Sozialdemokratische Korrespondenz (Berlin),
Nr. 110 vom 24. Oktober 1914, Kopie.