verzichten auf unsere Privatgüter, wir übergeben unsere Grundbesitzungen, unsere Fabriken, unsere Kohlen- und Eisengruben der Allgemeinheit, wir wollen von nun an gemeinsam arbeiten, damit niemand Not leidet – dann, ja, dann würde man an den Ernst ihrer Worte glauben. Aber daran denkt kein einziger von diesen Patrioten. Ja, sie würden wahrscheinlich denjenigen ins Irrenhaus sperren lassen, der ihnen einen solchen Vorschlag ernstlich machen wollte. Liebesgaben, Almosen spenden sie, um die Not zu lindern und den weiteren Bestand der heutigen Kapitalherrschaft zu ermöglichen. Pomphafte Worte von der Brüderlichkeit spenden sie, um dem Arbeitervolke moralische Almosen zu reichen und „den großen Lümmel“ einzulullen, damit er nicht greint. Aber die Wurzel der Not und der Ungleichheit beseitigen, die Ausbeutung aufheben – daran wollen Oertel und Mosse und wie sie alle heißen nicht im Traum denken. Und deshalb bleibt die Klassengesellschaft, was sie war. Und durch den Rauch der Kanonen, durch den Nebel der patriotischen Reden leuchtet die alte Lehre der Sozialdemokratie hoch über allem, hell und unverrückbar als einziger Leitstern der Völker durch die Wirrsale der Klassengesellschaft und ihrer Geschichte. Der alte Cato schloß jede seiner Reden im römischen Senat mit der Wendung: Römer, vergeßt nicht, daß Karthago zerstört werden muß.[1] So muß man heute immer und immer wieder mahnen: Proletarier, vergeßt nicht, daß wahre Gleichheit und Brüderlichkeit in jeder Nation erst dann und nur dann möglich ist, wenn zwischen allen Nationen der Welt Solidarität herrscht und wenn die unmenschliche Sprache der Kanonen für immer verstummt ist.
Sozialdemokratische Korrespondenz (Berlin),
Nr. 89 vom 18. August 1914, Kopie.
[1] „Im Übrigen bin ich der Meinung, daß Karthago zerstört werden muß.“ Siehe: Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des deutschen Volkes gesammelt und erläutert von Georg Buchmann, 38. Aufl. Bearbeitet von Winfried Hofmann, Frankfurt/Main und Berlin 1986, S. 313.