Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 842

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Wert: nämlich den, daß sie die Mißhandlungen und ihre Unausrottbarkeit in dem heute herrschenden System bestätigen. Nur ein Mittel kann Besserung schaffen: die sozialdemokratische Aufklärung. In die Kasernen müssen Männer kommen, an denen keiner eine Mißhandlung wagt. Es muß auch hier wieder an die schönen Worte Bebels über die Soldatenmißhandlungen erinnert werden, die dem Frankfurter Staatsanwalt so sehr mißfielen. Bebel sagte am 10. März 1893 im Reichstage: Eins steht für mich fest: Dinge, wie sie in unserer Armee zur täglichen Gewohnheit gehören, Mißhandlungen, wie sie uns immer wieder gemeldet werden, sind in der französischen Armee einfach undenkbar. In der holländischen Kolonialarmee besteht eine Vorschrift: wenn ein Unteroffizier seine Soldaten so mißhandelt wie bei uns, so darf der gemeine Mann seinen Unteroffizier zu Boden schlagen, ohne daß ihm die geringste Strafe dafür droht. Eine solche Möglichkeit wäre auch bei uns in Deutschland das geeignetste Mittel, die Soldatenmißhandlungen aus der Welt zu schaffen.[1] – Wir handeln im Interesse des Vaterlandes, wenn wir die Geister gegen die Soldatenmißhandlungen aufrütteln!

Unsere Agitation gegen den Militarismus ist ein so wesentlicher Teil unseres ganzen Strebens, daß wir – ähnlich dem Staatsanwalt im Frankfurter Prozeß – sagen können: Der Lebensnerv unserer Aufklärung ist ein Kampf bis aufs Messer gegen das heutige System des Militarismus. Wir sollen Soldaten zur Meuterei aufgefordert haben. Hier hat man unsere Staatsgefährlichkeit doch beträchtlich unterschätzt: Wir geben uns mit solchen Lappalien wie der Aufstachelung von zehn bis zwölf Soldaten nicht ab; wir haben viel gefährlichere Pläne: die ganzen Volksmassen wollen wir zur Meuterei gegen den Militarismus bringen. So brauchen wir uns gar nicht erst vor die Kasernen hinstellen. Als vorsorgliche Politiker streuen wir unsere Saat schon im Frühjahre, nicht erst in der Erntezeit – durch Agitation in den breitesten Schichten des Volkes, durch Ausbreitung unserer Presse, durch Flugblätter. Der Kopf des Arbeiters wird dann nicht dümmer sein, wenn er einen Helm aufgesetzt bekommt, und das Gefühl der Solidarität wird ihn auch in der Uniform nicht verlassen. Die Armee ist ja nichts anderes als ein kleines Teilchen der ganzen Volksmasse. Wenn hier im Volke erst die richtige Empörung gegen die Brutalität des heutigen Militarismus wach geworden ist, dann wird auch bald die Zeit kommen, wo die heutige Armee mit der ganzen Gesellschaftsordnung zusammenbricht.

Ein scharfer Wind weht heute gegen die Sozialdemokratie. Aber er kann uns nicht Angst machen. Von den beiden Mitteln zur Bekämpfung der Sozialdemokratie, von Zuckerbrot und Peitsche, könnte das Zuckerbrot immerhin gefährlicher werden und in gewissen Köpfen den Gedanken auslösen, es ließe sich am Ende doch auch noch unter den heutigen Verhältnissen leben. Niedergeworfen stehen wir immer wieder mit zehnfacher Kraft auf. Je schärfer die Brise weht, um so lustiger flackert die rote

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[1] Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags. VIII. Legislaturperiode. II. Session 1892/93. Dritter Band, Berlin 1893, S. 1569.