Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 840

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noch ertragen wird! Auch hier bewahrheitet sich das Wort: „Es leben unsere Freunde, die Feinde!“ Niemand sorgt besser für die Propagierung unserer Ideen als die Gegner. Auch der Versuch, die sozialdemokratische Agitation gegen den Militarismus in seiner heutigen Form mit der Peitsche der Justiz niederzuschlagen, wird letzten Endes nur eine Stärkung unserer Reihen zur Folge haben. Der Kampf gegen die Sozialdemokratie hat einem Blut- und Eisenmann, wie es Bismarck gewesen ist, keine Lorbeeren gebracht, wie glauben denn die Knirpse, die heute das Ruder in der Hand halten, mit unserer Bewegung fertig zu werden? Was ist das Heer heute? Ein Instrument für die Eroberungs- und Unterdrückungsgelüste der herrschenden Kreise, nicht, was es eigentlich sein sollte, ein bewaffneter Bund freier Volksgenossen zum Schutze von Heim und Herd. Die Entscheidung über Krieg und Frieden liegt in den Händen einiger Leute, die nimmer der allgemeinen Volksstimmung Ausdruck zu geben vermögen. Aber erfolgreiche Kriege werden nur geführt – das lehrt uns die Geschichte – solange die Völker mit Begeisterung hinter einem Krieg stehen oder ihn wenigstens dulden und ertragen. Das Beispiel Napoleons beweist wohl genug. Das Kriegsglück verließ ihn sofort, als nicht mehr die Verteidigung der demokratischen Volksgüter aus der Revolution, sondern die Gründung einer neuen Monarchie Zweck und Ziel seiner Kriege wurde. Selbst ein Mann wie Bismarck wußte, von welcher Bedeutung die Volksstimmung für den Ausgang eines Krieges ist, und er sagte das in der Reichstagssitzung vom 6. Februar 1888 so: „Wollen wir einen Krieg mit der ganzen Wucht unserer nationalen Kraft führen, so kommt alles darauf an, daß dieser Krieg volkstümlich ist.“[1] Daß der Militarismus der Todfeind alles Fortschrittes und aller Kultur ist, wissen wir Sozialdemokraten. Die Verhältnisse werden nur anders, wenn die Entscheidung über Krieg oder Frieden in die Hände der breiten Volksmassen gelegt wird, wenn diese Massen Macht darüber haben, auch einmal zu sagen: „Nein, das tun wir nicht! Wir schießen nicht auf Vater und Mutter!“ Der Staatsanwalt in Frankfurt sprach von der großen Gefahr der sozialdemokratischen Agitation; dadurch würden die Soldaten zur Meuterei verleitet, und was das heißt, wenn in jeder Kompanie nur zwölf entschlossene Leute dazu neigen, brauche keine weitere Ausmalung. Sonst malt man uns den Militarismus immer als einen vom Kopf bis zum Fuß mit Eisen und Stahl gepanzerten Riesen aus, der auf der Welt nichts zu fürchten hätte, und jetzt erzählt uns der Staatsanwalt, daß zwölf Soldaten genügen, die ganzen vielgepriesenen Vorteile des heutigen Militärsystems über den Haufen zu werfen? Für uns Sozialdemokraten ist dieses Zugeständnis wieder wertvoll als ein Zeichen, wie viel die herr-

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[1] Bismarck hatte am 6. Februar 1888 erklärt: „Wenn wir in Deutschland einen Krieg mit der vollen Wirkung unserer Nationalkraft führen wollen, so muß es ein Krieg sein, mit dem Alle, die ihn mitmachen, Alle, die ihm Opfer bringen, kurz und gut, mit dem die ganze Nation einverstanden ist; es muß ein Volkskrieg sein; es muß ein Krieg sein, der mit dem Enthusiasmus geführt wird wie der von 1870, wo wir ruchlos angegriffen wurden.“ Siehe Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags. VII. Legislaturperiode. II. Session 1887/88. Zweiter Band, Berlin 1888, S. 735.