Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 838

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-7-2/seite/838

archismus, stehen die beiden reaktionären Parteien: die ostpreußischen Junker und das jesuitische Zentrum. Es ist Pflicht der Sozialdemokratie, gegen diese Elemente unter Aufbietung aller Kräfte zu kämpfen. Jeder Streich, der gegen uns geführt wird, hat zwei Wirkungen: er ist ein neuer Beweis für die Notwendigkeit unserer Bestrebungen und ein neuer Beweis für die Schwäche und den moralischen Bankrott unserer Gegner. So haben wir es erlebt von Zabern bis nach Frankfurt und jüngst bis zu den Prozessen wegen Beleidigung des Kronprinzen.[1] Aber was tut’s: Je schärfer die Brise, um so lustiger flattert die rote Fahne. (Stürmischer Beifall.) Die rote Woche ist zu Ende, und wir sind zufrieden mit ihrem Erfolg.[2] Aber für jeden richtigen Sozialdemokraten besteht das Jahr aus 52 roten Wochen, wir haben keine Zeit, auf den Lorbeeren auszuruhen, wir müssen uns immer wieder in die Arbeit stürzen und das Material verarbeiten, das unsere Gegner täglich uns zu Bergen liefern. Der Frankfurter Staatsanwalt verübelte mir auch, daß ich vom Massenstreik gesprochen habe. Ich glaube aber, daß wir auch einen Massenstreik noch haben werden. Der wird aber allerdings anders aussehen, als ihn der Frankfurter Staatsanwalt mit kindlicher Phantasie schilderte.

Stürmischer und anhaltender Beifall schloß sich an die Ausführungen der Rednerin. Die Versammlung brach in ein Hoch auf Rosa Luxemburg aus, und als sie den Saal verließ, sang die vieltausendköpfige Menge die Arbeiter-Marseillaise.[3]

Münchener Post,

Nr. 69 vom 24. März 1914.

Nächste Seite »



[1] Gemeint sind die Prozesse Anfang März gegen den Schriftsteller Hans Leuß und den Vorwärts-Redakteur Ernst Meyer. Leuß war wegen seiner Publikation Wilhelm der Letzte. Eine Vorhersage aus 1914 zu sechs Monaten Gefängnis und Meyer zu drei Monaten Gefängnis wegen einer Satire über den Abschiedsgruß des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von seinem Regiment verurteilt worden. Siehe Berliner Tageblatt, Nr. 140 vom 18. März 1914, und Volksstimme (Magdeburg), Nr. 56 vom 7. März 1914. – Im Vorwärts (Berlin), Nr. 66 vom 8. März 1914, hieß es dazu: „Abermals Kronprinzenbeleidigung! Der Redakteur des ‚Vorwärts‘ Genosse Dr. Meyer ist am Sonnabend wegen Beleidigung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden. Das ist binnen wenigen Tagen der zweite Fall. Soeben erst die Verurteilung des Schriftstellers Hans Leuß zu sechs Monaten […] Und es bedeutet gerade keine Schmeichelei, weder für unsere Gerichte noch für unsere politischen Zustände überhaupt, daß gerade das Preußen des zweiten Jahrzehnts des zwanzigsten Jahrhunderts eine solche Ära der Kronprinzenbeleidigungsprozesse erleben konnte. Man scheint sich denn auch dieser Prozesse einigermaßen zu genieren.“

[2] Die Rote Woche der deutschen Sozialdemokratie diente der intensiven Agitation für die Sozialdemokratie und ihre Presse. Sie wurde 1914 mit dem Internationalen Frauentag am 8. März eingeleitet und stand im Zeichen des Kampfes für ein demokratisches Wahlrecht in Preußen und für die Gleichberechtigung der Frau. Sie dauerte bis 15. März 1914 und führte zu einem wesentlichen Mitgliederzuwachs und einer Erhöhung der Abonnentenzahl für die Presse.

[3] Einstimmig nahm diese Versammlung im Münchener Kindl-Keller und eine zweite im Schwanensaale folgende Resolution an: „Die Versammlung erhebt aufs neue flammenden Protest gegen das unsinnige Wettrüsten der Mächte, das das Lebensmark der Völker verzehrt, unaufhörlich mit einem Weltkrieg droht und die Fortschritte der Kultur hindert.

Sie erklärt sich unablässig gegen das heutige System des stehenden Massenheeres, das die Besserung der wirtschaftlichen und politischen Lage des Volkes hindert und reaktionären Regierungen, Klassen und Parteien ein allzeit bereites Werkzeug der Vergewaltigung des sogenannten inneren Feindes in die Hände gibt.

Sie erklärt, daß die erdrückende Mehrheit des deutschen Volkes, so bereit sie zur Verteidigung des Vaterlandes gegen frevelhafte Angriffe von außen ist, mit aller Kraft und allen gesetzlichen Mitteln auf die Aufrechterhaltung des Friedens hinarbeiten wird.“ Münchener Post, Nr. 69 vom 24. März 1914.