Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 768

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nister in einem Tone zugerufen, daß dieser seinem Gotte dankte, mit heilen Gliedern davongekommen zu sein.

Als August Bebel im April des Jahres 1905 an die deutschen Arbeiter in Łódź einen „Offenen Brief“ richtete, der sie aufforderte, in Reih und Glied der polnischen Sozialdemokratie zu treten und Schulter an Schulter mit ihren polnischen Brüdern gegen Zarismus und die Herrschaft des Kapitals zu kämpfen,[1] da wunderten sich die Łódźer Arbeiter nicht. War es nicht natürlich, nicht selbstverständlich, daß „der Bäbel“, wie sie ihn nennen, ihnen in einem kritischen Augenblicke zu Hilfe kam? Diesen „Offenen Brief“, der in 40000 Exemplaren unter die deutschen Arbeiter verteilt wurde, hatten nicht die deutschen Arbeiter erhalten, sondern jeder einzelne deutsche Arbeiter in Łódź empfand es, als ob „der Bäbel“ ihm persönlich geschrieben habe. Darum dachte die größte Zahl der deutschen Arbeiter in Łódź während der Revolutionsperiode in allen Notlagen an Bebel. Erschien ihr „Vorwärts“ nicht, weil es an Geld, deutschen Mitarbeitern oder an technischen Mitteln fehlte, oder weil die Geheimdruckerei – und dies geschah oft – der Polizei in die Hände gefallen war, mangelte es an deutschsprechenden Propagandisten: Immer sollte man sich an Bebel wenden, der würde für alles Rat finden…[2] Als einige Genossen aus Deutschland sich opferwillig in den aktiven Dienst der revolutionären Sache in Russisch-Polen stellten, da war es nicht ihr persönlicher Wille, es war wiederum „der Bäbel“, der sie geschickt hatte, weil er wußte, daß die Łódźer Arbeiter diese Hilfe brauchten.

August Bebel war darum den deutschen Arbeitern in Łódź mehr als der treue Anwalt ihrer Interessen und der geliebte Führer, er war ein Leuchtstern in der Nacht, die mit der Reaktion über sie hereingebrochen war. Er war einer der besten Bürgen, daß diese Nacht nicht ewig währen wird. Und da sie immer noch geknechtet und entrechtet sind, so wird sein Geist in ihnen fortleben, bis sie den Tag erkämpft haben, für den auch er all sein Lebtag in heißem Ringen gestritten hat.

Bremer Bürger-Zeitung,

Nr. 189 vom 14. August 1913.

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[1] Siehe August Bebel: Ausgewählte Reden und Schriften, Band 7/2, Reden und Schriften 1899 bis 1905. Bearbeitet von Anneliese Beske und Eckhard Müller, München 1997, S. 784 ff. Dieser Offene Brief August Bebels an die deutschen Arbeiter und Arbeiterinnen in Russisch-Polen vom 9. April 1905 wurde von der SDKPiL als Flugblatt verbreitet.

[2] Gemeint ist der Vorwärts, ein Organ der SDKPiL, das zunächst in der Zeit zwischen Juni 1906 und Oktober 1908 mit ingesamt 22 Nummern unregelmäßig für die deutschsprachigen Arbeiter in Łódź erschien. 1912/13 gab es Versuche, die Zeitung wiederzubeleben, was jedoch nach wenigen Nummern wegen der innerparteilichen Fraktionskämpfe in der SDKPiL scheiterte. Die letzte Nummer von Juni 1913 wurde bereits von den innerparteilichen Gegnern Rosa Luxemburgs und Leo Jogiches’ herausgegeben.