Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 762

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-7-2/seite/762

arbeiterstreik[1] zu kritisieren. (Beifall.) Die Bewegung der Werftarbeiter, die von unten herauf kam, habe sich gebrochen an dem ohnmächtigen Paragraphen des Statuts.[2] Ein großartiger Kampf sei erdrosselt worden, nur um den Buchstaben des Statuts gerecht zu werden. – Es müsse den Massen klar gemacht werden, daß die Organisation nicht um ihrer selbst willen, sondern nur als Mittel zum Zweck da sei. Nicht von oben dürfe alles gemacht werden, die Massen müssen mit solchem Geist erfüllt werden, daß sie zur rechten Stunde auf dem Posten seien und auch die Führer nicht versagen. (Starker Beifall.)[3]

Vorwärts (Berlin),

Nr. 206 vom 12. August 1913.

Nächste Seite »



[1] Vom 14. Juli bis Mitte August 1913 fand ein Werftarbeiterstreik statt. Nach wochenlangen ergebnislosen Verhandlungen mit den Unternehmern über die von den Arbeitern geforderte Herabsetzung der Arbeitszeit, die Erhöhung der Löhne, die Gewährung eines Urlaubs bei Fortzahlung des Lohnes u. a. gab die provokatorische Entlassung mehrerer Vertrauensleute der Hamburger Schiffbauer den letzten Anlaß zum Ausbruch des Streiks. Der Ausstand begann in Hamburg und griff auf Bremen, Flensburg, Kiel, Stettin und Vegesack über. Ende Juli streikten rd. 35000 Arbeiter. Die Gewerkschaftsführer des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes erklärten den Ausstand zum „wilden Streik“ und zahlten keine Unterstützung. Trotz des Protestes von 10000 Streikenden in vielen Versammlungen in Hamburg am 14. August 1913 gegen das Abwürgen des Streiks durch die Gewerkschaftsführer wurden die Arbeiter gezwungen, die Arbeit bedingungslos wieder aufzunehmen.

[2] „Die Statuten der gewerkschaftlichen Centralvorstände verweigern ihren Mitgliedern in allen Fällen, wo Streiks ohne Genehmigung der Vorstände eingeleitet werden, die Unterstützung. Nach den Satzungen des Deutschen Metallarbeiterverbandes, um dessen Mitglieder es sich bei den Arbeitsniederlegungen in erster Linie handelt, verzichten die Mitglieder in solchen Fällen auf jedwede Unterstützung.“ Siehe Erklärung der Hauptvorstände der Verbände der Metall-, Holz-, Fabrikarbeiter, der Kupferschmiede, Schiffszimmerer, Maschinisten und Heizer und der Maler vom 21. Juli 1913. In: Zur Werftarbeiterbewegung. Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, 23. Jg., Berlin, Nr. 30 vom 26. Juli 1913; Zur Lohnbewegung der Arbeiter auf den Seeschiffswerften. In: Metallarbeiter-Zeitung (Stuttgart), 31. Jg., Nr. 31 vom 2. August 1913.

[3] Die von Rosa Luxemburg eingebrachte Resolution wurde angenommen. Sie hat folgenden Wortlaut: „Der Parteitag begrüßt das wiedererwachte Interesse weiter Parteikreise für die Frage des Massenstreiks als ein Zeichen der Kampfesstimmung der Massen und ihres richtigen Gefühls für die Tatsache, daß die Sozialdemokratie auf die Dauer mit den parlamentarischen Mitteln allein nicht auskommen kann.

Der Massenstreik kann jedoch nicht auf Kommando von Partei- und Gewerkschaftsinstanzen künstlich herbeigeführt werden. Er kann sich nur aus der Verschärfung der wirtschaftlichen und politischen Situation ergeben, als Steigerung einer bereits in Fluß befindlichen Massenaktion.

Eine solche Situation ist in Deutschland in naher Zukunft unvermeidlich. Die Versumpfung der preußischen Wahlrechtssache, die Vorstöße des Imperialismus mit der ständigen Kriegsgefahr, der Stillstand der Sozialreform, die immer dringendere Notwendigkeit, das Koalitionsrecht zu verteidigen und es für den Landproletarier und die Arbeiter und Angestellten der Staatsbetriebe zu erobern, endlich das völlige Versagen der bürgerlichen Parteien machen das kräftige Eingreifen der arbeitenden Massen zur gebieterischen Pflicht, soll die Reaktion nicht auf der ganzen Linie triumphieren.

Als Antwort auf die Übergriffe der Reaktion wie als erste Voraussetzung erfolgreicher Massenaktionen ist gegenwärtig eine offensive, entschlossenere Taktik der Partei auf allen Gebieten unbedingt erforderlich, so auch im Reichstag und namentlich im preußischen Wahlrechtskampf. Nur eine solche scharfe revolutionäre Taktik, die den Schwerpunkt des Kampfes bewußt in die Aktion der Massen verlegt und die vor keiner Konsequenz zurückschreckt, ist geeignet, in den Reihen der Organisierten die Kampfesenergie und den Idealismus wach zu halten sowie die Unorganisierten in wichtigen Augenblicken mitzureißen und für die gewerkschaftliche und politische Organisation dauernd zu gewinnen.“ Siehe Vorwärts (Berlin), Nr. 205 vom 11. August 1913. – Der Erste Staatsanwalt bei dem Königlichen Landgerichte III teilte dem Polizeipräsidenten, Abteilung VII, vertraulich mit, daß dem Ansinnen der in Fußnote 2 auf S. 760 angeführten Presseorgane nicht Folge geleistet werden könne. „Ich hege Bedenken“, schrieb er am 14. Oktober 1913, „gegen die Schriftstellerin Rosa Luxemburg und die sonstigen Befürworter der in der Generalversammlung des sozialdemokratischen Wahlvereines für den Reichstagswahlkreis Niederbarnim vom 10. August 1913 gefaßten Resolution strafrechtliche Maßnahmen zu ergreifen, da mir die in Betracht kommenden strafrechtlichen Bestimmungen auf den festgestellten Sachverhalt nicht anwendbar erscheinen. […] Hiernach komme ich zu dem Ergebnisse, daß die bestehenden Strafgesetze eine Handhabe zur Strafverfolgung von Erörterungen über den politischen Massenstreik, wie sie in diesem Jahre stattgefunden haben, nicht bieten. Was im Besonderen das Verhalten der Rosa Luxemburg und Genossen in der Generalversammlung des Wahlvereins Niederbarnim betrifft, so scheint mir ein besonderes staatliches Interesse an der Verfolgung dieses Einzelfalles auch nicht vorzuliegen mit Rücksicht darauf, daß die gleichen Erörterungen sich monatelang in der Presse und sodann auf dem Parteitage in Jena in breitester Öffentlichkeit vollzogen haben, ohne daß, soweit bekannt geworden, strafrechtlich eingeschritten worden ist, daß ferner auf dem Parteitage in Jena die Frage des politischen Massenstreiks bis auf Weiteres zurückgestellt worden ist, und daß schließlich, die weit schärferen Ausführungen der Rosa Luxemburg in der Leipziger Volkszeitung vom 28. Juni 1913 (Siehe Taktische Fragen. In: GW, Bd. 3, S. 246 ff.) unverfolgt geblieben sind.“ Siehe LAB, Rep 30 Bln. C 15909, Bl. 75 und 76 R.