Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 703

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stolz darauf, daß er nicht der Vertrauensmann einer Majorität ist, sondern lediglich der Vertrauensmann einer Majestät.[1] Er ist so stolz darauf, daß er den Marokkovertrag dem Reichstag nur zur „gefälligen Kenntnisnahme“ und nicht zur Abstimmung vorzulegen hat.[2] Aber gerade das wurde ihm zum Verderben; denn um so ungenierter konnten die bürgerlichen Parteien jetzt ins Zeug gehen, Wahlreden halten und sich so aufspielen, als ob sie das Abkommen ablehnen würden, wenn sie könnten. Kein Wort ist davon wahr! Schlucken würden sie es alle, nach einigem Sträuben vielleicht, aber sie würden schlucken. Und damit wären die unverantwortlichen Kriegshetzereien, mit denen jetzt diese Politiker Wahlstimmung machen wollen, von vornherein unmöglich gewesen.

Für die klassenbewußte Arbeiterschaft konnte die kriegslüsterne Politik der Junker und Pfaffen, der Hertling und Heydebrand nicht stärker kompromittiert werden, als daß der Kronprinz von der Hofloge aus so demonstrativ ihren Reden Beifall zollte. Sein Entzücken über die Säbelrasselei des Junkers war so stark, daß man versucht war, die bekannten Verse Heinrich Heines umzumodeln:

Des Thrones witziger Erbe

Ruft laut im Saal: süperbe

Schwingt er den Säbel, der Heydebrand![3]

Dieses demonstrative Beifallklatschen eines jungen Mannes, der sich mehr um Pferde als um Politik bekümmert, hat an sich sicherlich gar nichts zu bedeuten, wenn auch, wiederum nach Heinrich Heine, die Fähnrichs und die Leutenants die klügsten Leute sind. Aber es hat eine sehr ernste Seite. Es beweist, daß auch im Offizierskorps die Kriegslust so stark entwickelt ist, daß der Kronprinz, den schon seine Stellung zur vorsichtigen Zurückhaltung veranlassen sollte, die Stunde gekommen glaubt, um diese Kriegslüsternheit ganz offen an den Tag zu legen, und sei es auch im offenen

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[1] Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg wandte sich am 10. November 1911 im Deutschen Reichstag, nachdem er am 9. November die Debatte über das Marokkoabkommen mit Frankreich eröffnet hatte, gegen die scharfmacherische, gegen Frankreich und England gerichtete Rede des Führers der Konservativen Ernst von Heydebrand und der Lasa.

[2] Während der Marokkokrise hatten der französische Botschafter in Deutschland, Jules Cambon, und der Staatssekretär des Äußeren, Alfred von Kiderlen-Wächter, hinter verschlossenen Türen über Kompensationen im Kolonialbesitz verhandelt. Diese Verhandlungen führten am 4. November 1911 zu den Marokko- und Kongoabkommen zwischen Deutschland und Frankreich. Im Marokkoabkommen stimmte Deutschland der Beherrschung Marokkos durch Frankreich zu, während Frankreich das Prinzip der „offenen Tür“ für Marokko garantierte. Im Kongoabkommen wurde ein Gebietsaustausch in Äquatorialafrika vereinbart, durch den Deutschland gegen Territorien im Tschadgebiet einen zwar größeren, wirtschaftlich aber wertlosen Teil von Französisch-Kongo erhielt.

[3] Siehe Heinrich Heine: Zur Ollea, 3 Hoffart, wo es heißt: „Die wollen mit dir tanzen;/Und der Krone witziger Erbe/Ruft laut im Saal: ‚Süperbe/Schwingt sie den Steiß, die Gudelfeld!‘“ In: Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Hrsg. von Hans Kaufmann, Bd. 1, Berlin und Weimar 1980, S. 313.