Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 702

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rer der Junker ging sogar so weit, in einer geradezu verbrecherischen Hetzrede das Ausland zu brüskieren, um dort ebenfalls die nationalistischen, kriegslüsternen Instinkte zu wecken und so den Ausbruch eines Krieges vorzubereiten. Die Junker wissen ganz genau, was ihnen bevorsteht, sie wissen auch, daß die Empörung über ihre ruchlose Ausplünderungspolitik die Massen aufs tiefste erregt hat und bei der bevorstehenden Wahl zu explosivem Ausbruch gelangen wird. Dieser Abrechnung suchen die Junker mit allen Mitteln zu entgehen und sie schrecken nicht einen Augenblick davor zurück, die Kriegsfackel zu entzünden, um an der Glut eines Weltkrieges ihr Parteisüppchen zu kochen. Mit dem Pathos eines ostvorstädtischen Schmierenkomödianten wagt es dieser Vorkämpfer der habsüchtigsten, raffgierigsten Ausbeuterclique, deren Steuerscheu sprichwörtlich ist und deren systematische Steuerhinterziehung Professor Delbrück seinerzeit ganz glatt nachgewiesen hat, von der „Opferwilligkeit“ der preußischen Junker zu reden, die bereit seien, „das Vermögen der Besitzenden auf dem Altar des Vaterlands zu opfern“.[1] Eine Riesenwoge höhnischen Gelächters verschlang diese Unverschämtheit. War es doch derselbe Mann gewesen, der die Ablehnung der Erbschaftssteuer durch die Junker mit der ewig denkwürdigen Wendung begründete, die Junker wollten nicht die Verfügung über das Portemonnaie der Reichen einem Parlament ausliefern, das auf Grund des allgemeinen Wahlrechts zusammengesetzt ist. Es war die durchsichtigste Wahlmache, die Heydebrand trieb, und genau das gleiche gilt von seinem augenblicklich feindlichen Bruder, dem Redner der Liberalen. Wenn auch er in nationalistischen Phrasen arbeitete, so ebenfalls nur in der Hoffnung, durch den Haschischtrunk der Kriegsbegeisterung die Wähler in jene taumelnde Stimmung zu versetzen, wo man den Mord für eine Baßgeige hält und die nationalliberale Partei für eine Kerntruppe der Volksfreiheit. Wahlmache, nichts als Wahlmache. Die ganze Skrupellosigkeit dieser Politiker besteht aber gerade darin, daß ihnen selbst die furchtbare Gefahr eines Weltkriegs gerade gut genug erscheint, um mit ihr ihre erbärmlichen Fraktionsinteressen zu fördern. Die Arbeiterklasse soll diesen frivolen Kriegshetzern, die gestern die Larve fallen ließen, bei den Wahlen einen gründlichen Denkzettel geben.

Freilich! Die Regierung darf sich nicht beschweren. Gestern wurde der deutsche Absolutismus mit seinen eigenen Waffen geschlagen. Herr Bethmann Hollweg ist so

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[1] Siehe Ernst von Heydebrand und der Lasa, Vorsitzender der Deutschkonservativen Partei, am 9. November 1911 im Deutschen Reichstag. In: Verhandlungen des Reichstags. XII. Legislaturperiode. II. Session. Stenographische Berichte, Band 268, Berlin 1911, S. 7722.