expeditionen“ ganze Gouvernements. Das Standrecht ward proklamiert. Ganz Rußland ward der Meute der Geheimpolizei ausgeliefert. Vom Schwarzen bis zum Weißen Meere, vom Amur bis zur Weichsel erhob sich ein Wald von Galgen. Den Henkern aber arbeiteten die Verräter in die Hand, die Garde der Asew und Konsorten. Das System fand Stolypin vor, als er ans Ruder kam, aber niemals zuvor hat die Seuche der Provokation solche Ausdehnung angenommen, niemals ist es frecher gehandhabt worden, als unter seinem Regime. Und weil auch bei dem „abgekürzten Verfahren“ das Morden nicht schnell genug ging, weil selbst die Kriegsgerichte dem Bluthunde an der Spitze der Regierung noch zu langsam arbeiteten, baute er auch ein anderes System aus, das schon unter seinem Vorgänger Plehwe[1] im Schwange war: unter höchsteigener Mitwirkung des Zaren organisierte Stolypin die „Schwarzen Hundert“, jene Banden gedungener Mordbuben, die unter dem Schutze der Polizei jeden niederknüttelten, der im Geruch stand, ein „Feind der Ordnung“ zu sein, der Stolypinschen Ordnung. Auf sein Geheiß wurden die furchtbaren „Progrome“, die Judenmassaker, inszeniert, deren Ziel es war, die niedrigsten Instinkte des Lumpenproletariats zu reizen, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu halten. So schaffte Stolypin „Ruhe“ in Rußland.
Auf dem Gebiete der Verwaltung hat er es verstanden, Rußland auf den Stand eines mongolischen Barbarenstaates zurückzuwerfen. Der Westeuropäer glaubt an die Mär von der russischen Konstitution. In Wirklichkeit ist heute Rußland in eine Anzahl von Satrapien aufgelöst, in denen die „Kriegsgouverneure“ nach Willkür schalten und walten. Seit fünf Jahren sind die Gesetze sistiert, es herrscht der Ausnahmezustand, bei dem die administrativen Behörden tun und lassen können, was ihnen paßt. Das Menschenmaterial, dem diese administrative Gewalt ausgeliefert ist, besteht aus jenen Tschinowniks, von denen der Volksmund sagt, daß sie nur deshalb die Sterne nicht vom Himmel stehlen, weil sie zu hoch hängen. Dieser Kaste diebischer Bürokraten hatte die Revolution einen heilsamen Schrecken eingejagt, unter Stolypin atmete sie auf und beeilte sich, das System der schamlosesten, frechsten Plünderung wiederherzustellen und sich schadlos zu halten für jenen Schrecken. Die Korruption hat schier unglaubliche Dimensionen angenommen, alles ist feil, alles ist verseucht und verludert, der Staat geht der vollen Auflösung entgegen. Auf dem Gebiete der Gesetzgebung sind die Lorbeeren Stolypins nicht minder herrlich. Die Duma einfach abzuschaffen ging nicht an, denn im Jahre 1906 war die revolutionäre Erregung der Massen noch zu groß. So wurde die zweite Duma einberufen, weil ja die Sicherheit bestand, daß das Bürgertum, dem durch das Wahlrecht diese Körperschaft ausgeliefert war, niemals sie zu einem machtvollen Faktor im politischen Leben gestalten würde. Als dann diese Erwartung richtig zutraf, als die Kadetten sich nach kurzer Frist um jeden Kredit geschwätzt hatten, wurde die im März 1907 einberufene
[1] Wjatscheslaw Plehwe war seit April 1902 russischer Innenminister gewesen und als schroffer Gegner liberaler Bestrebungen am 28. Juli 1904 Opfer eines Attentats des Sozialrevolutionärs Jegor Sassonow.