Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 675

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In überaus temperamentvoller Weise zeigte Genossin Luxemburg, zu welchen Zwecken die Milliarden verpulvert wurden: zum Bau von Kasernen, in denen die Blüte der Menschheit durch deutsche Unteroffiziere geschändet und durch ein raffiniertes Verdummungssystem korrumpiert werde, und zum Bau von Panzerschiffen, deren Herstellung einigen wenigen Kapitalisten Riesenverdienste zuschanze. Wenn schon in den 40 Friedensjahren an die 28 Milliarden für Rüstungszwecke ausgegeben worden seien, könne man sich eine Vorstellung davon machen, was ein etwaiger Krieg für unheimliche Kosten verursachen würde. Mit der Marine, dem Zwillingsbruder des deutschen Militarismus, sei es noch schlimmer. Beim Regierungsantritt Wilhelms II. erforderte die Marine nur 53 Millionen jährlich, jetzt seien schon 400 Millionen erforderlich. Wenn das so weitergehe, dann werde Deutschlands Zukunft nicht „auf dem Wasser“, sondern im Wasser liegen. Nicht um einen auswärtigen Feind zu [be]kämpfen, würde der Militarismus gepflegt, o nein, die Flinten, Lanzen und Maschinengewehre sollen gegen die Brüste der deutschen Arbeiter gerichtet werden, die sich politische Rechte erkämpfen wollen. Es wäre ein vergebliches Bemühen, hier in Mansfeld klarzulegen, warum die Proletariersöhne in des „Königs Rock“ gesteckt würden. Stürmischer Beifall folgte diesen Worten und ebensolche Ausdrücke des Abscheus darüber, daß hier während des Bergarbeiterstreiks[1] das Wort jenes Herrn von dem Schießen auf Vater und Mutter beinahe zur schrecklichen Wirklichkeit geworden wäre. Mit Entrüstung vernahmen die Bergleute und ihre Frauen die Schilderung des „glorreichen“ Chinafeldzuges[2] und die an unschuldigen Negerfrauen und Kindern in Südwestafrikas Sandwüsten verübten Greuel.[3] Auf diese beiden und einzigen Kriege dürfe der deutsche Militarismus stolz sein, sein Ruhmeskranz bestände aus gebleichten Knochen.

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[1] Vom 4. Oktober bis 13. November 1909 hatten etwa 10000 Mansfelder Bergarbeiter gegen die Maßregelung gewerkschaftlicher Vertrauensleute durch die Zechenherren gestreikt. Um die Streikfront zu brechen und die Arbeiter zur Wiederaufnahme der Arbeit zu zwingen, forderten die Unternehmer Militär an. In der Nacht vom 21. zum 22. Oktober 1909 waren daraufhin einige Kompanien Infanterie in das Streikgebiet einmarschiert. Am 13. November mußte der Streik ergebnislos abgebrochen werden.

[2] 1899 war in Nordchina der Volksaufstand der Ihotuan ausgebrochen, der 1900 durch die Armeen von acht Staaten unter Führung des deutschen Generals Graf von Waldersee grausam niedergeworfen wurde. Gegen die Teilnahme Deutschlands an der Intervention in China hatten z. B. August Bebel und Paul Singer am 19. und 20. November 1900 im Deutschen Reichstag protestiert und die dafür geforderten Mittel abgelehnt. Von Oktober bis Dezember 1900 veröffentlichte die sozialdemokratische Presse sog. Hunnenbriefe, Soldatenbriefe mit Berichten über die Greueltaten des Expeditionskorps in China. Bei der Besichtigung von Truppen hatte Wilhelm II. am 27. Juli 1900 in Bremerhaven eine chauvinistische, die berüchtigte „Hunnenrede“ gehalten, die in den Worten gipfelte: „Kommt Ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer Euch in die Hände fällt, sei Euch verfallen! Wie vor 1000 Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch Euch in einer Weise betätigt werden, daß niemals ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“ – Im Protest der deutschen Sozialdemokratie gegen die Grausamkeiten des räuberischen Chinafeldzuges unter dem deutschen General von Waldersee veröffentlichte die sozialdemokratische Presse von Oktober bis Dezember 1900 sog. Hunnenbriefe. In den Soldatenbriefen mit Berichten über die Greueltaten wurde der barbarische Charakter des imperialistischen Kolonialkrieges angeprangert. Bei der Besichtigung von Truppen hatte Wilhelm II. am 27. Juli 1900 in Bremerhaven eine chauvinistische, seine berüchtigte „Hunnenrede“ gehalten, die in den Worten gipfelte: „Kommt Ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer Euch in die Hände fällt, sei Euch verfallen! Wie vor 1000 Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Namen Deutscher in China auf 1000 Jahre durch Euch in einer Weise betätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“ Siehe Das persönliche Regiment. Reden und sonstige Äußerungen Wilhelm II. Zusammengestellt von W. Schröder, München 1907, S. 41.

[3] Der Aufstand der Hereros gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Südwestafrika dauerte von Anfang Januar 1904 bis 1907, dem sich im Oktober 1904 die Nama angeschlossen hatten. Unter Leitung des Reichskanzlers Bernhard von Bülow war der Reichstagswahlkampf 1906/1907 durch skrupellosen Chauvinismus für die Weiterführung des Kolonialkrieges gegen die Hereros und Nama gekennzeichnet. Im Unterdrückungsfeldzug hatten die deutschen Kolonialtruppen die Eingeborenen in die Wüste getrieben und von den Wasservorkommen abgeschnitten. Generalleutnant Lothar von Trotha hatte Befehl gegeben, keine Gefangenen zu machen und auf Frauen und Kinder zu schießen, so daß die Hereros und Nama einem grausamen Tod oder unerträglichem Elend ausgeliefert waren. Rosa Luxemburg prangerte im Entsetzen über den Ersten Weltkrieg das mörderische Verbrechen der „Kulturwelt“ erneut an, „welche gelassen zugesehen hatte, als derselbe Imperialismus Zehntausende Hereros dem grausigen Untergang weihte und die Kalahariwüste mit dem Wahnsinnsschrei Verdurstender, mit dem Röcheln Sterbender füllte […] diese[r] ‚Kulturwelt‘ ist erst heute gewahr geworden, daß der Biß der imperialistischen Bestien todbringend, daß ihr Odem Ruchlosigkeit ist.“ In: GW, Bd. 4, S. 161.