Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 647

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gegründet hätte, wie es übrigens anderswo geschehen ist, wäre mein Mandat sicherlich anerkannt worden. Ich habe mich jedoch entschlossen, diesen Fall vor dem Büro vorzutragen, weil ich wegen ganz spezieller Umstände ausgeschlossen worden bin. Die Organisationen, denen ich angehöre, haben dem Büro ein Schreiben zukommen lassen, in dem der Sachverhalt dargelegt wird. Um eine Spaltung der ungarischen Partei zu vermeiden, bitte ich Sie, mein Mandat für rechtsgültig zu erklären.

Rosa Luxemburg (Polen): Ich glaube, daß unsere vorherige Abstimmung nicht den von uns festgelegten Grundregeln entspricht.

Auf den internationalen Kongressen müssen wir eine andere Methode als in den nationalen Sektionen anwenden. In Stuttgart[1] haben wir Mandate von Bürgern für rechtsgültig erklärt, die von der deutschen Partei ausgeschlossen worden waren, und die Partei hat das nicht angefochten. Aus England haben wir die Labour Party, die nicht sozialistisch ist, akzeptiert. Wir müssen unsere Ungerechtigkeit revidieren und Alpáris Mandat für rechtsgültig erklären.

Dr. Adler (Wien): Nach meiner Meinung ist der erste Fall zweifelhaft. Deswegen habe ich mich enthalten. Aber im zweiten Fall handelt es sich um einen Mann, der nicht von einer örtlichen Organisation, sondern von einem Kongreß ausgeschlossen worden ist. Nur weil wir in Stuttgart Mandate von Delegierten, die aus der Partei ausgeschlossen worden waren, für gültig erklärt haben, sollten wir uns nicht gezwungen fühlen, hier dasselbe zu tun.

Alpáris Mandat wird mit einer großen Mehrheit annulliert.

Auf Vorschlag des Sekretärs wird eine von De Leon eingebrachte Resolution über die Auslieferung russischer Genossen durch die Regierung der Vereinigten Staaten an die fünfte Kommission verwiesen.

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[1] Gemeint ist die Resolution über die Beziehungen zwischen der politischen Partei und den Gewerkschaften, die auf dem Internationalen Sozialistenkongreß in Stuttgart 1907 mit Mehrheit gegen sieben Stimmen angenommen worden war. Zu Anfang heißt es in ihr: „I. Zur vollständigen Befreiung des Proletariats aus den Fesseln der geistigen, politischen und ökonomischen Knechtschaft ist der politische und wirtschaftliche Kampf der Arbeiterklasse in gleichem Maße notwendig. Wie die Aufgabe der sozialistischen Parteiorganisationen vorwiegend auf dem Gebiete des politischen Kampfes des Proletariats liegt, so liegt die Aufgabe der gewerkschaftlichen Organisationen vornehmlich auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Kampfes der Arbeiterschaft. Partei und Gewerkschaften haben also im Emanzipationskampf des Proletariats gleichwertige Aufgaben zu erfüllen.

Jede der beiden Organisationen hat ein durch ihre Natur bestimmtes eigentümliches Gebiet, auf dem sie ihre Aktion vollständig selbstständig zu bestimmen hat. Daneben aber gibt es ein stets wachsendes Gebiet des proletarischen Klassenkampfes, auf dem Erfolge nur erzielt werden können bei einmütigem Zusammenwirken zwischen Partei- und Gewerkschaftsorganisation.

Der Kampf des Proletariats wird sich daher um so erfolgreicher und günstiger gestalten, je inniger die Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Parteiorganisationen sind, wobei die Einheitlichkeit der Gewerkschaftsorganisation im Auge zu behalten ist.

Der Kongreß erklärt, es müsse die Arbeiterschaft dazu gelangen, daß in allen Ländern innige Beziehungen zwischen Partei und Gewerkschaften hergestellt und dauernd unterhalten werden.“ Siehe Internationaler Sozialistenkongreß zu Stuttgart vom 18. bis 24. August 1907, Berlin 1907, S. 50 und S. 106–109.