Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 642

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Hillquit: Für die Vertretung auf dem Kongreß sowie für die gesamte sozialistische Bewegung in den Vereinigten Staaten ist diese Frage wichtig, ich bedauere, daß ich gezwungen bin, mich zeitlich zu beschränken. Es ist notwendig, daß eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Im Büro muß jede Partei gemäß ihrer Stärke vertreten sein. Es reicht nicht zu sagen: Lassen wir die Dinge für dieses Mal so, wie sie sind. Man muß endlich die Realitäten berücksichtigen. Ich habe innerhalb der Sektion der Vereinigten Staaten, also innerhalb unserer Partei, versucht, diese unangenehme Diskussion zu umgehen, aber ich wurde von der Mehrheit der Partei beauftragt, die Interessen der S.P. im Büro energisch zu verteidigen. Von der S.L.P. gab es einst einen Einigungsvorschlag, nach dem auf einer Konferenz unsere viel beachtete Partei als eine Art Untersektion der S.L.P. beitreten sollte. Die S.L.P. hat damals noch existiert. Heute jedoch existiert sie nicht mehr, abgesehen von dem hier anwesenden Genossen De Leon. Je mehr die S.L.P. zu einer Sekte wurde, desto mehr Mitglieder verlor sie. Wir haben viel Zeit benötigt, um unter den amerikanischen Arbeitern den Schaden vergessen zu machen, den die S.L.P. angerichtet hat. Dank der Zahl der zahlenden Mitglieder und der bei Wahlen erhaltenen Stimmen sind wir zu einer stabilen Macht geworden.[1] Während die S.L.P. seit neun Jahren keinen Bericht mehr veröffentlicht hat, veröffentlicht der Sekretär unserer Partei jeden Monat einen Bericht mit Statistiken. Selbst wenn De Leons Angaben richtig wären, selbst wenn seine Partei 3000 Mitglieder hätte, wären das weniger als 6 Prozent unserer Mitglieder. In Wirklichkeit jedoch muß man diese Zahl auf 2 Prozent reduzieren. Man redet über die Aufrechterhaltung des Status quo; aber selbst die S.L.P. konnte ihn nicht aufrechterhalten! Das einzige Ansehen, das die S.L.P. noch genießt, verdankt sie dem Kongreß der Internationale. Das Büro hat moralisch nicht das Recht, dieser Partei, die nur noch nominell existiert, ein Ansehen zu verleihen, weil sie es lediglich für ihre schädliche Politik benutzen wird.

Rosa Luxemburg (Polen): Ich will mich nicht in interne Angelegenheiten einmischen, aber ich denke, wenn wir für die anderen Amerikaner den Status quo aufheben, werden wir nicht in der Lage sein, ihn für andere Nationen zu erhalten. Einen kleinen Widerspruch sehe ich in Hillquits Äußerungen, wenn er einerseits behauptet, daß die S.L.P. nicht mehr existiere, aber andererseits behauptet, daß sie eine Gefahr für den amerikanischen Sozialismus darstelle. Wir können uns nicht an den bei Wahlen erzielten Stimmen orientieren. Die revolutionären Sozialisten in Rußland zum Beispiel,

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[1] Von der Sozialistischen Partei der USA wurde z. B. Karl Liebknecht um Unterstützung der Wahlagitation gebeten. M. Hillquit empfing ihn am 10. Oktober 1910 in New York für seine Vortragstour durch die USA, die bis 30. November 1910 dauerte. Siehe Annelies Laschitza: Die Liebknechts. Karl und Sophie. Politik und Familie, Berlin 2007, S. 173 ff. – Um diese Zeit hielten auch Vertreter anderer ausländischer Arbeiterparteien in den USA Vorträge, so der Pole I. Daszyński, der Finne Y. E. Sirola, die Deutschen J. Simon, C. Hoeltmann und A. Südekum.