beiterklasse im Kampfe ums Dasein aufzuweisen hatte. So verfährt man mit unserem Leben, wo es sich um die Profitinteressen des Kapitals handelt. Wie viel Blut hat man schon in Paris vergossen?[1] Und wie war es in Deutschland zu Bismarcks Zeiten, wo man versuchte, uns mit dem Sozialistengesetz[2] niederzutrampeln? Elf Jahre und elf Monate behandelte man die Sozialdemokratie in Deutschland wie ein Wild, das jeder Verfolgung preisgegeben ist. Und was ist aus Bismarck geworden? Lange vor seinem Tode war er ein politisch toter Mann. (Sehr richtig.) So wird es immer bleiben, deshalb haben wir gar keinen Grund, etwas um den Kampf für das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht zu befürchten. Aus jeder Niederlage erwachsen uns neue Kräfte, und sie bringt uns einen Schritt weiter zum endgültigen Siege. Für uns bedeutet dieser Kampf nur eine Etappe auf dem Wege zum Endziele, zum Sozialismus. Es ist nicht der historische Beruf des Proletariats, den bürgerlichen Staat wohnlich und demokratisch einzurichten. Das war die Pflicht der liberalen Bourgeoisie. Nur weil sie sich vor uns ins Mauseloch verkrochen hat, sind wir dazu verdammt, die bürgerlichen politischen Rechte zu erkämpfen. Es sind für uns nur neue Mittel, um neue Waffen im Klassenkampfe, um die sozialistische Freiheit zu erringen. (Lebhafter Beifall.) Dieses Ziel leuchtet uns voran in jedem Tageskampfe, dieses Ziel gibt uns den Mut, niemals zu verzagen. Heute haben wir mehr Grund denn je, mit voller Zuversicht dem Siege entgegenzusehen. So schnell raste noch nie die soziale Entwicklung dem traurigen Ende der kapitalistischen Welt entgegen. Freilich können wir nicht Jahr und Tag des Sieges bestimmen, das ist aber auch gar nicht nötig. Was wir mit Sicherheit sagen können, das ist, daß die allgemeine Entwicklung noch niemals so rasch dem Endziele entgegenging, wie jetzt. Noch nie war in der bürgerlichen Gesellschaft der Kampf zwischen Kapital und Arbeit so scharf wie heutzutage, noch nie war die allgemeine Unzufriedenheit so hoch gestiegen wie jetzt. Und in einer Zeit, wo die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung mit Riesenschritten vorwärtsgeht, wo das Ende des Kapitalismus naht, wo man am dunklen Horizont eine neue lachende Welt erblickt, da glaubt man in Preußen noch ein Stück mittelalterlicher Barbarei mit den plumpsten Mitteln retten zu können. Das ganze Proletariat der Welt blickt auf uns und erwartet von der Sozialdemokratie, daß ein neuer großer Schritt vorwärts gemacht wird. Es ist Ehrensache, daß wir nicht eher abrüsten, bis der Sieg unser ist. Die Schanzen müssen genommen werden! Zum Kampfe!
Bremer Bürger-Zeitung,
Nr. 80 vom 7. April 1910.
Wiederveröffentlicht durch Masao Nishikawa: Rosa Luxemburg in Bremen. Eine Dokumentation. In: IWK, 26. Jg., Dezember 1990, Heft 4, S. 509 ff.
[1] Vom 23. bis 25. Juni 1848 hatten sich Pariser Proletarier erhoben, weil die französische Bourgeoisie die Nationalwerkstätten hatte schließen lassen. Etwa 113000 Arbeiter blieben dadurch ohne Arbeit und Einkommen. Bourgeoisie, Kleinbürger und Monarchisten standen geschlossen gegen den Aufstand, der nach drei Tagen von der militärischen Übermacht blutig niedergeschlagen wurde. – Die Pariser „Blutwoche“ vom 21. bis 28. Mai 1871 führte zur konterrevolutionären Niederschlagung der Pariser Kommune, die als erster welthistorischer Versuch, eine Herrschaft der Arbeiterklasse zu errichten, am 18. März 1871 begonnen hatte. Beim brutalen Vorgehen der Regierungstruppen, verstärkt durch vorzeitig aus deutscher Kriegsgefangenschaft entlassene Truppen und begünstigt durch die im Raum Paris stationierten deutschen Armeekorps, wurden etwa 30000 Kommunarden getötet und etwa 85000 verhaftet, deportiert und zu Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen verurteilt.
[2] Das mit 221 gegen 149 Stimmen im Deutschen Reichstag am 19. Oktober 1878 auf Druck von Otto von Bismarck angenommene Gesetz „gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ trat am 21. Oktober 1878 mit seiner Verkündung in Kraft. Es stellte die deutsche Sozialdemokratie außerhalb des Gesetzes, unterwarf ihre Mitglieder Verfolgungen und Schikanen und erschwerte die Arbeit der Partei außerordentlich. Unter Druck der Massen und angesichts der Differenzen innerhalb der herrschenden Klassen, die sich im Reichstagswahlergebnis am 20. Februar 1890 widerspiegelten, lehnte der Deutsche Reichstag am 25. Januar 1890 mit 169 gegen 98 Stimmen die Verlängerung des Sozialistengesetzes in dritter Lesung ab. Siehe dazu u. a. Nach 20 Jahren. In: GW, Bd. 6, S. 232 ff.