Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1090

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Der Pariser Kongreß im J. 1889, der die zweite Internationale aus der Taufe gehoben hat, war diesmal eine Vertretung junger aber schon festgewurzelter sozi Arbeiterparteien verschiedener Länder;[1] jetzt galt es, im Unterschied von der ersten Internationale, von unten auf auf und Zusammenschluß zu den gemeinsamen Stamm zu errichten. Die Beschlüsse des Pariser Kongresses zeigten, daß man mit richtigem Instinkt z den Weg dort suchte, wo allein an der Macht der Internationale gebaut werden konnte.

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Der denkwürdige Beschluß der Maifeier[2] sprach das eigentliche P geschichtliche Problem der zweiten Internationale lapidar aus: Die Internationale wird zur Massenbewegung, zur eigenen Aktion der Arbeitermassen in allen Ländern oder sie wird nicht sein. Die Maifeier war die einzige Form der unmittelbaren Betätigung der proletarischen Massen im Geiste der internationalen Solidarität; was sonst von der zweiten Internationale war übrigblieb, waren Kongresse u. Manifeste, d. h. Demonstrationen kleiner Häuflein von Vertretern im Namen der Massen, waren Worte, Instanzen u. Zeremoniell. Die Maifeier sollte die einzige internationale Tat, eigene Tat von Millionen sein. Und an in den Schicksalen der Maifeier können wurden die Schicksale der zweiten Internationale besiegelt.

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Geboren Aus frischem, kühnem Tatendrang geboren, wurde die Maifeier in dem führenden Lande der zweiten Internationale, in Deutschland erst durch die politischen Führer zu einer leeren Demonstration degradiert, zuletzt durch die gewerkschaftlichen Führer in der Schlinge der Unterstützungsklausel erdrosselt. In den Maifeierdebatten der deutschen Parteitage in den letzten Jahren vor dem Kriege war der Zusammenbruch der deutschen u. der internationalen Sozialdemokratie schon besiegelt vorgezeichnet;[3] die Maifeierbeschlüsse schrieben bereits mit feurigen Lettern das Me-

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[1] Der Gründungskongreß der zweiten Internationale fand vom 14. bis 20. Juli 1889 in Paris statt. Die rd. 400 Delegierten kamen aus Argentinien, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, England, Finnland, Frankreich, den Niederlanden, Italien, Norwegen, Österreich, Polen, Rumänien, Rußland, Schweden, der Schweiz, Spanien, Ungarn und den USA. Deutschland war durch 81 Teilnehmer vertreten. Neben der Berichterstattung über die Lage der Arbeit und die sozialistische Bewegung in den verschiedenen Ländern wurde über folgende Probleme diskutiert: Abschaffung der stehenden Heere und allgemeine Volksbewaffnung, die Mittel und Wege, um die Forderungen des Arbeitsschutzes zu verwirklichen, die internationale Arbeiterschutzgesetzgebung, die gesetzliche Regelung des Arbeitstages, der Tag-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, die Arbeitszeit für jugendliche Personen, Frauen- und Kinderarbeit, Überwachung der Großindustrie und des Kleingewerbes, einschließlich der Hausindustrie, und die internationale Kundgebung zum 1. Mai.

[2] Der vom 14. bis 20. Juli 1889 in Paris tagende Internationale Arbeiterkongreß, der Gründungskongreß der II. Internationale, forderte die Abschaffung der stehenden Heere, die Einführung der allgemeinen Volksbewaffnung und erklärte „den Frieden als die erste und unerläßliche Bedingung jeder Arbeiter-Emanzipation“. Er verlangte eine internationale Arbeiterschutzgesetzgebung, besonders den Achtstundentag, das Verbot der Kinderarbeit und Maßnahmen zum Schutze der Jugendlichen und Frauen und forderte die Arbeiter zum Kampf um demokratische Rechte auf. Der Beschluß, am 1. Mai 1890 in allen Ländern Kundgebungen für den achtstündigen Arbeitstag und für die anderen Beschlüsse des Kongresses zu organisieren, wurde zur internationalen Geburtsstunde der Maifeier. In Deutschland legten rd. 200000 Arbeiter die Arbeit nieder. – Siehe auch Rosa Luxemburg: Zum 1. Mai 1907. In: GW, Bd. 7/1. S. 103 f.; dies.: Der 1. Mai und der Klassenkampf. In: ebenda, S. 572 ff.; Rede am 1. Mai 1910 auf einer Massenversammlung unter freiem Himmel in Köln. In: ebenda, Bd. 7/2, S. 620 ff.; dies.: Maigedanken. In: ebenda, S. 948 ff.

[3] Angelpunkt der Maifeierdebatten wurde die Arbeitsruhe am 1. Mai, da die Gewerkschaftsführer angesichts der zunehmenden Maßregelungen durch kapitalistische Unternehmer die Unterstützungsfrage in den Vordergrund schoben. Der letzte umfassende Beschluß zur Maifeier-Vereinbarung stammte vom Parteitag in Leipzig 1909. Auf dem Nürnberger Parteitag 1908 war der Parteivorstand beauftragt worden, wegen der finanziellen Unterstützungsfrage in erneute Verhandlungen mit der Generalkommission der Gewerkschaften einzutreten. Siehe Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Nürnberg vom 13. bis 19. September 1908, Berlin 1908, S. 550. Die Maifeier-Vereinbarung von 1909 lautete: „Zur Vorbereitung der Maifeier ist an allen Orten, möglichst zu Beginn des Jahres, eine Kommission einzusetzen, für die zu gleichen Teilen das Gewerkschaftskartell und die Parteiorganisation ihre Vertretung bestimmen. Den Vorsitzenden wählt die Kommission selbst.

Die Kommission hat die Aufgabe, unter Berücksichtigung der beruflichen und örtlichen Verhältnisse und der Bestimmungen der gewerkschaftlichen Organisationen sowie der Beschlüsse des Parteitages, für eine würdige Feier Sorge zu tragen. Die in Aussicht genommene Feier darf an keinem anderen Tage als am 1. Mai stattfinden.

Bei Aussperrungen infolge der Maifeier kann den davon betroffenen Arbeitern eine Unterstützung gewährt werden, und darauf haben die politisch wie auch die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter Anspruch.

Zur Untersützung der Ausgesperrten sollen für größere zusammenhängende Wirtschaftsgebiete Bezirksfonds gebildet werden. Die Abgrenzung der Bezirke erfolgt unter Zustimmung der in Frage kommenden Orte. Die für die Unterstützung nötigen Mittel sind von der Parteiorganisation und den Gewerkschaften in dem Bezirk, in dem die Aussperrung erfolgt, durch freiwillige Beiträge und Sammlungen aufzubringen.

Orte, deren Angliederung an einen Bezirksfonds untunlich ist, haben in gleicher Weise am Orte einen Fonds zu bilden, aus dem die am Orte Ausgesperrten zu unterstützen sind.

Bedarf es eines solchen Fonds am Orte oder im Bezirk nicht oder reichen die Mittel eines solchen Fonds zur Unterstützung der Ausgesperrten nicht aus, so sind die erforderlichen Unkosten von der Parteiorganisation und den Gewerkschaften, denen die Ausgesperrten angehören, zu decken. Der Anteil, den jede dieser Organisationen zur Deckung der Unkosten der Ausgesperrten aufzubringen hat, wird nach der Zahl der diesen Organisationen angehörenden Ausgesperrten berechnet. Anspruch auf Unterstützung aus den Zentralkassen der Partei und Gewerkschaften haben die Ausgesperrten nicht.

Erheben die Gewerkschaften im Anschluß an die Aussperrungen Lohnforderungen, so haben sie die Unterstützung der Ausgesperrten allein zu übernehmen.“ Siehe Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Leipzig vom 12. bis 18. September 1909, Berlin 1909, S. 511 f. – Der Parteitag Jena 1913 fügte lediglich hinzu: „Der Parteitag erwartet von den in Büros und Redaktionen der Partei und der Gewerkschaften angestellten Parteigenossen, daß sie im Hinblick auf die Opfer, die die Arbeiter im Kampf um die Maifeier bringen, ihren Tagesverdienst am 1. Mai an den Maifeierfonds abliefern.“ Siehe Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Jena vom 14. bis 20. September 1913, Berlin 1913, S. 557. – Siehe dazu auch Das Begräbnis der Maifeier und Die Maifeier vor der Entscheidung. In: GW, Bd. 2, S. 269 ff. und 274 ff.