Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1062

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Dagegen ist es „ein Rätsel, gleich geheimnisvoll für Weise wie für Toren“, wenn auch der biedere „Vorwärts“ von dem Dornenstrauch der reichskanzlerischen Rede noch Feigen pflücken will. Schon in der Sitzung des Reichstags selbst erklärte Herr David, der junge Mann Scheidemanns, wie Scheidemann der junge Mann des Reichskanzlers ist, die Erklärung der Regierung befriedige zwar nicht „voll und ganz“, aber sie enthalte doch sehr wertvolle Gesichtspunkte.[1] Den Teufel auch! Die Regierungssozialisten hatten klipp und klar verlangt, der Reichskanzler solle sich zu einem Friedensschluß ohne Annexionen und ohne Kriegsentschädigung bereit erklären, und wenn es nicht geschehe, hätte Herr Scheidemann im Hintergrunde sogar die Revolution aufmarschieren lassen, was seltsamer Weise nicht allgemeine Heiterkeit, sondern allgemeine Unruhe hervorrief. Aber der Reichskanzler hatte so dürr und trocken wie nur möglich erklärt: Fällt mir gar nicht ein. Herr David glich einem Schacherer, der, wenn er mit einem Fußtritt die Treppe herabgeworfen wird, seine krachenden Glieder einsalbt mit wohlwollenden Betrachtungen über die Form des Stiefels, der ihn so ungestüm expediert hat.

Aber bei Lichte besehen, läßt sich auch dies Rätsel lösen. Die ablehnende Haltung des Reichskanzlers schlug die ganze sogenannte Friedenspolitik des Regierungssozialismus kurz und klein. Sie zeigte, daß die Regierung gar nicht daran denkt, dem „guten Willen“ der Scheidemänner mit „offener Hand“ entgegenzukommen, daß sie, so sehr sie bereit sein mag, die untertänigsten Dienste anzunehmen, die ihr von dieser Seite entgegengebracht werden, durchaus nicht beabsichtigt, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Das ist tatsächlich der Bankrott der regierungssozialistischen Politik, aber es begreift sich, daß die Bankrotteure das nicht eingestehen mögen. Um so weniger, als in wenigen Wochen über eine neue Kriegsanleihe zu entscheiden sein wird. Würden sie dagegen stimmen, so würden sie selbst die Politik ohrfeigen, die sie seit drei Jahren getrieben haben, aber wenn sie dafür stimmen sollen, so müssen noch einige tüchtige Hände voll Sand in die Augen des gläubigen Volkes gestreut werden.

Ja, es ist weit gekommen mit den deutschen Regierungssozialisten! Und diese Zwerge spielen sich als die Heilande auf, die der lechzenden Welt den Frieden bringen wollen! Wäre es nur um sie, so wäre es wahrhaftig nicht schade, daß die Stockholmer Konferenz[2] einigermaßen auf die lange Bank geraten zu sein scheint. Es wäre ein ekelhafter Anblick, diese Nutznießer des Belagerungszustandes, die eben wieder – um sich für die lächerliche Rolle zu entschädigen, die sie gegenüber der Regierung spielen – die Genossin Zetkin, die langjährige hochverdiente und in den Arbeiterklassen aller Länder verehrte Vorkämpferin des internationalen Sozialismus aus der

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[1] Es handelt sich um Äußerungen Eduard Davids in seiner Rede am 15. Mai 1917 zum Reichshaushaltsetat. In: Verhandlungen des Reichstags. XIII. Legislaturperiode. II. Session. Stenographische Berichte, Band 310, Berlin 1917, S. 3408.

[2] Siehe S. 1052 ff. und S. 1055 ff.