gentliche Würze gaben. Wir sind wahrlich die Leute nicht, den Regierungssozialisten mehr zuzumuten, als ihren schwachen Leibern frommt, aber wenn wir einmal annehmen wollen, es sei ihre heilige patriotische Pflicht gewesen, das Siegel auf Liebknechts Verurteilung zu drücken, indem sie hinderten, daß ein Gesinnungsgenosse Liebknechts[1] dessen parlamentarischer Nachfolger wurde, so wäre es kein ganz unbilliger Anspruch gewesen, daß sie den Henkersdienst wenigstens auf eigene Gefahr und Kosten verrichteten. Daß sie dazu noch einen ganzen Heerbann von Gelben und Reichsverbändlern aufboten, war ein beredtes, aber doch eigentlich nicht schönes Zeugnis dafür, daß sie mit Falstaff Vorsicht für den bessern Teil der Tapferkeit hielten.
Indessen ein richtiger Falstaff darf keine Gelegenheit versäumen, sich lächerlich zu machen. Kaum hatte die Angstmehrheit mit ihren 16000 und so und so viel Zitterern den geschlossenen Heerhaufen von 5000 Mann geschlagen, der treu zur Fahne Liebknechts hielt,[2] als der „Vorwärts“ ein ohrenbetäubendes Siegesgeschrei erhob. Ha, auch wenn die Gelben und Reichsverbändler uns nicht unterstützt hätten, so hätten wir dennoch gesiegt. Schade, daß diese Einsicht nicht vierundzwanzig Stunden früher kam und die Regierungssozialisten veranlaßte, sich den immerhin doch für „unentwegte Männerbrüste“ ein wenig kompromittierenden Beistand der Gelben und Reichsverbändler zu verbitten. So hatten diese Biedermänner allzu berechtigten Anlaß zu der Klage: Dank vom Haus Österreich! Doch haben sie diese Klage kaum erhoben, denn sie betrachten die Regierungssozialisten nur als „Futter für Pulver“, von dem man kein besonderes Aufheben macht, weder im Guten noch im Schlimmen.
Noch in andrer Beziehung spielten sich die Regierungssozialisten am Morgen nach der Reichstagswahl in Potsdam-Spandau-Osthavelland als die wahren Ritter ohne Furcht und Tadel auf. Neben einem übermäßigen Aufgebot von Angstmeierei vor Franzosen, Engländern und Russen hatten die Regierungssozialisten ihre Wahlagitation mit persönlichen Verdächtigungen des Gegenkandidaten Mehring bestritten, durch Aufwärmung von Äußerungen, die dieser vor vierzig Jahren als damaliger Gegner der Partei getan hatte. Besonders Herr Stahl, der Kandidat des gelb-regierungssozialistischen-reichsverbändlerischen Mischmasches, trug diese holden Mären in sei-
[1] Gemeint ist Franz Mehring, der vom 15. August bis 24. Dezember 1916 in „Schutzhaft“ genommen und in der Stadtvogtei gefangen gehalten wurde. Karl Liebknecht hatte nach seiner Verurteilung seiner Wahlkreisorganisation Potsdam-Spandau-Osthavelland Franz Mehring als neuen Kandidaten für den Reichstag vorgeschlagen. In zweiter Linie hatte er August Thalheimer benannt. Franz Mehring wurde jedoch von der Kreiskonferenz der Mehrheitssozialisten am 28. Januar 1917 nicht nominiert, sondern der Gewerkschaftsangestellte Emil Stahl. Die bürgerlichen Parteien verzichteten zugunsten dieses „Arbeiterkandidaten“ auf einen eigenen Kandidaten. Siehe Annelies Laschitza: Die Liebknechts. Karl und Sophie. Politik und Familie, S. 319 f.
[2] Bei der Ersatz- bzw. Nachwahl am 15. März 1917 erhielt Franz Mehring 6961 Stimmen und Emil Stahl 16528 Stimmen. Er zweifle nicht daran, daß die Massen bald genug einsehen werden, „wie sehr sie von fanatischen Dogmatikern und Herostraten irregeführt worden sind“.