Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1025

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land, also deutlicher gesprochen die russische Bourgeoisie, nach einem Kriege mit Deutschland lechze, auf dessen Widerstand sie überall stoße, wohin sie auch immer ihre kapitalistischen Fangarme ausstrecke.[1]

Daraus ergibt sich schon die Hinfälligkeit des Versuchs, die russische Revolution als einen Vorboten des Friedens zu begrüßen. Im Gegenteil: Soweit es auf die gegenwärtigen Machthaber in Rußland ankommt, werden sie den Krieg mit verdoppelter Energie und, wie sie hoffen, mit verdoppeltem Erfolge fortführen; ja, nach manchen Anzeichen scheint die Befürchtung, der Zar könne sich zu einem Separatfrieden mit Deutschland entschließen, nicht der letzte Antrieb ihres raschen Vorgehens gewesen zu sein. Damit erklärt sich dann weiter, daß sich ein Teil der Aristokratie und namentlich die bewaffnete Macht der russischen Revolution angeschlossen haben.

Somit bestätigt diese Revolution das bekannte Wort Lassalles, es sei unmöglich, die Bourgeoisie für die idealen Güter der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ins Feuer zu bringen, aber um ihre kapitalistischen Interessen zu verfechten, könne sie noch Klauen und Zähne zeigen.[2] Man mag der russischen Bourgeoisie sogar das verhältnismäßige Lob zuerteilen, daß sie für ihre hehren Altäre größere Kräfte aufzuwenden weiß, als manche andere, die weiter westlich haust. Aber schließlich bleibt Bourgeoisie doch immer Bourgeoisie, und eine Revolution kann sie nicht machen, ohne sich auf Volksmassen zu stützen, die durch die strenge Schule des Elends und des Hungers zu revolutionärer Kraft gestählt sind. So war es 1789 in Frankreich, so war es 1848 in Frankreich und Deutschland, und so ist es 1917 in Rußland.

Darum gilt von jeder siegreichen Revolution das Wort des römischen Dichters[3]: Hinter dem Reiter, der noch so glorreich aus der Schlacht heimkehrt, sitzt die schwarze Sorge. Wie sich die Bourgeoisie 1789 und 1848 dieser Sorge entledigt hat, ist bekannt genug. Sie lohnte am Tage nach dem Siege die Kämpfer, die mit ihrem Blut und ihren Muskeln den Sieg erfochten hatten, mit dem schnödesten Undank ab! Und es liegt nicht der geringste Anlaß vor, zu bezweifeln, daß auch die russische Bourgeoisie sich an dieselbe bewährte Methode halten wird. Ihr Programm enthält zwar eine Reihe verhältnismäßig weitgehender Forderungen, aber wohlgemerkt, nicht auf sozialem, sondern auf politischem Gebiete, und was aus der Berufung einer auf Grund des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts gewählten Nationalversammlung werden kann, die die neue Verfassung des Reiches beraten soll, das besagt das preußische Vorbild von 1848. Genau denselben „Erfolg“ hatten die

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[1] Siehe Paul von Mitrofanow: Offener Brief über das Verhältnis von Rußland und Deutschland vom 12. April 1914. In: Preußische Jahrbücher. Hrsg. von Hans Delbrück, 156. Band, April bis Juni 1914, Berlin 1914, S. 386 ff.

[2] Siehe dazu Lassalle und die Revolution. In: GW, Bd. 1, Zweiter Halbband, S. 417 ff. und Lassalles Erbschaft. In: GW, Bd. 3, S. 220.

[3] Gemeint ist Horaz, bei dem es heißt: Hinter dem Reiter sitzt die schwarze Sorge.