Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1000

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Denn wenn der erste Schritt vorwärts nur getan würde, um dann wieder voller Bedenken und Halbheiten und Zweifel stillzustehen, so wäre es freilich besser, er würde überhaupt nicht erst getan.

Wie im Kriege, so hat auch im Parteikampf die Verteidigung ihre Vorzüge, und es mag unter Umständen ganz richtig sein, wenn man den Gegner erst recht tief in den Sumpf tappen läßt. Jedoch noch hat es keinen Krieg und keinen Parteikampf gegeben, worin der Teil gesiegt hätte, der sich auf die Verteidigung beschränkte und nicht im richtigen Augenblick zum Angriff überzugehen wußte. Ist der Gegner in den Sumpf geraten, dann genügt es wirklich nicht, zu seiner Beschämung auf dem festen Lande allerlei korrekte Parademärsche auszuführen, sondern man muß wie ein Donnerkeil über ihn dreinfahren.

Es ist wohl begreiflich, daß vielen alten Genossen, denen die Partei zur wahren Heimat geworden ist, die Entscheidung schwer gefallen ist und schwer fällt, daß sie aus den Trümmern zu retten gesucht haben und suchen, was irgend zu retten ist. Allein alles auf der Welt hat seine Grenze. Reißt ihnen vandalische Zerstörungswut das Haus über dem Kopfe zusammen, dann darf ihre Anhänglichkeit an die alte Stätte ihres Wirkens nicht zur sentimentalen Schwäche werden, und sie müssen es verstehen, sich ein neues Heim zu schaffen, ein Heim unter festem Dach und Fach.

Was die bisherige Politik der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft am meisten gelähmt hat, ist der Mangel eines einheitlichen Programms. Es sind recht verschiedene Elemente in ihr vertreten, verschieden wenigstens, wenn nicht in den allgemeinen Grundsätzen des Sozialismus, so doch in dem Urteil über die brennenden Fragen des Tages, wie zum Beispiel in der Frage der Vaterlandsverteidigung. In alledem muß klare Bahn geschaffen werden. Nichts ist verhängnisvoller für eine Oppositionspartei, als wenn sie ihre Prinzipien verwischt oder ihnen auch nur ein Titelchen abdingen läßt, um ein paar schwächliche Elemente mehr bei der Fahne zu erhalten oder um die Fahne zu sammeln.

Das gilt schon von jeder bürgerlichen Opposition. Als in der preußischen Konfliktzeit die Fortschrittspartei[1] das „ganze Land“ hinter sich hatte, aber nur um auch die Kranken, Lahmen und Schwachen hinter sich zu behalten, in ihrer Opposition immer zahmer wurde, zerstob sie am Tage der Entscheidung wie ein Haufen Sand. Und nun gar eine proletarische Oppositionspartei! Was ist vor dem Kriege bei den ewigen Zugeständnissen an den Revisionismus herausgekommen, als daß am Tage der Entscheidung der leere Tamtam der patriotischen Phrase die mahnende Stimme des sozialistischen Gewissens übertönte? Und die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft hat in ihrem kurzen Dasein doch auch manches Mal schon die Erfahrung gemacht, daß mit diplomatischer Pfiffigkeit verteufelt wenig auszurichten ist. Sie be-

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[1] Siehe S. 80, Fußnote 8.