Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 949

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Manche Proletarier und Proletarierinnen schauen sich mit blutendem Herzen um und rufen schmerzlich: Wo ist die Internationale geblieben? Warum schweigt sie? Wann wird sie wieder ihre Stimme erheben? Und dabei richten sie ihre Blicke nach Brüssel, nach Paris, nach Den Haag, nach Bern, als ob von dort die Heilsbotschaft kommen sollte von der Auferstehung der Internationale. Allein die so rufen sind in argem Irrtum befangen. Nicht irgendwo draußen, bei sich selbst müssen sie die Internationale suchen. Jeder sozialdemokratische Arbeiter, jede Arbeiterin und Arbeiterfrau muß sich sagen: Die Internationale, das bist du!

Die Internationale, das ist nicht ein Büro, ein Kongreß, eine Instanz aus ein oder zwei Dutzend Leuten, eine Instanz, die Schriftstücke hinausschickt in die Länder. Die sozialistische Internationale, die mehr als ein schöner Traum sein, die sich zu Fleisch und Blut verkörpern soll, das sind die proletarischen Massen aller Länder, die den Gedanken der Weltverbrüderung der Arbeitenden in ihr Herz und Hirn aufgenommen haben. Die Internationale als politische Wirklichkeit, das sind die Massen der Arbeitenden, denen dieser Gedanke aus einem Sonntagsparadestück zur täglichen Praxis, zum Leitstern all ihres Tuns und Lassens geworden ist.

Um die Internationale wiederherzustellen, hat man deshalb gar nicht nötig, aus Deutschland herauszugehen, ebenso wenig wie man dazu Frankreich, England oder Rußland zu verlassen braucht. Die Internationale lebt von selbst auf, sobald Arbeitermassen der wichtigsten Länder getreu nach den sozialistischen Grundsätzen handeln. Umgekehrt bleibt die Internationale tot, sie ist nichts weiter als ein „übertünchtes Grab“, wenn in London, Wien, Kopenhagen oder sonst wo Vertreter der Arbeiterparteien verschiedener Länder sich an einen Tisch zusammensetzen, um papierene Resolutionen zu fassen, während ihre praktische Politik, ihr Handeln ein Spott und Hohn auf die sozialdemokratischen Grundsätze ist. Die Internationale bleibt tot, solange die Arbeitermassen allenthalben das Wachs bleiben, aus dem kleine Staatsmänner in verschiedenen Parteitrachten Figuren modeln, wie es ihnen gefällt.

Bei sich selbst muß jeder einzelne am Bau der Internationale arbeiten. Nicht von Delegierten, Vertretern, Abgeordneten, Führenden jeder Art sollen die Proletarier und Proletarierinnen die Heilsbotschaft von der Wiederauferstandenen erwarten. Sie selbst können allein das Wunder vollbringen, das Wunder, das so einfach und selbstverständlich ist, wie alle großen Gesetze der Entwicklung, wie alle ehernen geschichtlichen Notwendigkeiten. Auch der Mai der Völkerverbrüderung wird nicht vom Himmel herabfallen als ein Gnadengeschenk heldenhafter Persönlichkeiten. Den Frühlingstag ihrer Rückkehr zum Sozialismus müssen sich die Arbeiterscharen selbst

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