Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 915

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sondern der Zensur auf den politischen Gebieten. Insofern nun sind die immer lauter werdenden Klagen interessant. Es ist nicht anzunehmen, daß die englische und französische Presse je beabsichtigt habe, in irgendeiner Weise ihren vaterländischen Interessen zuwider zu handeln, das ist sogar ganz ausgeschlossen. Sie wird aber der Überzeugung sein, daß es von Nutzen sei, wenn in der Presse manche, die ganze Nation angehende, politische Probleme und Fragen hin und her erwogen und erörtert würden. Daß dabei gelegentlich auch kritische Standpunkte kritisch vertreten werden, liegt in der Natur der Sache. Im Bewußtsein ihres guten Gewissens, nur etwas im nationalen Sinne Positives zu wollen, und in der Überzeugung, daß ein Volk, welches ebenso tatkräftig wie bereitwillig alles getan hat und tun will, was die Lage erfordern könnte, Anspruch auf Vertrauen und Recht auf Mitarbeit hat, ist man in den beiden genannten Völkern der Ansicht, daß eine gewisse Freiheit der Meinungsäußerung auch jetzt natürlich und nützlich sein würde. Deshalb berührt es dort so besonders empfindlich, daß die Regierungsbehörden, wie neulich die „Times“ sich ausdrückten – den Zeitungen nicht gestatten, über Wichtiges zu schreiben, sondern höchstens über Fußballspiel zu schreiben. Die auswärtige Presse betrachtet diese Haltung als einen Beweis kränkenden Mißtrauens und andererseits mangelnden Selbstvertrauens der betreffenden Regierungen […]. Man kann den Blättern wohl nachfühlen, wenn daraus mit Besorgnis der Schluß gezogen wird: Die Regierungen, die nicht die genügende Nervenstärke zeigen, um die Tatsache einer öffentlichen Kritik im eigenen Lande an sich ertragen zu können, besäßen auch nicht die Kraft und das Selbstvertrauen, um den Anforderungen der internationalen Lage gewachsen zu sein. Man kann nicht sagen, daß diese Logik eine unrichtige wäre.“[1] Soweit die „Deutsche Tageszeitung“.

Es ist wahr, daß wir aus ihren trefflichen Worten einige wenige fortgelassen haben,[2] aus denen hervorgeht, daß sie zunächst die englische und französische Militärzensur im Auge hat. Aber dadurch wird die Kraft ihrer Beweisführung nicht gemindert. Vielmehr im Gegenteil! Sie stellt ausdrücklich fest, „daß besonders die großbritannische Presse nach wie vor mit einem großen Ausmaß von Unabhängigkeit und Freiheit der Meinungsäußerung arbeitet, daß scharfe sachliche Kritiken an Ministern, ja auch einzelnen Personen der Admiralität an der Tagesordnung seien und von Seiten der Behörden auch jetzt nicht unterbunden würden“.[3] Den Eindruck also, den nach diesem konservativen Blatt die englische Militärzensur im Auslande macht, wird die deutsche Militärzensur, nur noch in verstärktem Maße, ebenda hervorrufen.

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[1] Siehe E. R.: Die Zensur in England und Frankreich. In: Deutsche Tageszeitung (Berlin), Nr. 605 vom 28. November 1914, Abendausgabe. Die Vollständigkeit des Zitats wurde durch die Redaktion hergestellt.

[2] Es handelt sich um das Weglassen von Worten wie „englische und französische“ und „in den beiden genannten Völkern“.

[3] Ebenda.