Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 798

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erst, wenn die Arbeiterklasse in allen Ländern das Heft in den Händen hält, werden diese Ideale verwirklicht werden können. Die herrschenden Klassen wollen nichts davon wissen, daß das Parlament über Krieg und Frieden entscheidet. Ich erinnere nur an die Hunnenexpedition nach China im Jahre 19004[1] und die Niedermachung wehrloser Frauen und Greise in Südafrika.5[2] Der Reichstag durfte nachträglich die Mittel bewilligen. So ist es auch in anderen Ländern. Der Parlamentarismus gerät immer tiefer in den Sumpf. Da gilt es, die ganze Kraft aufzubieten, daß auch der Letzte seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit erfüllt, indem er mit der Waffe der gekreuzten Arme sein Veto gegen das Verbrechen des Krieges einlegt. Wir haben den Massenstreik in Jena in eingehender Weise erörtert.6[3] Das Proletariat wird sich seiner in gegebenem Momente zu bedienen wissen. In der Stunde der Not kommt das Proletariat zur entschlossenen Tat – zum Massenstreik. Sei von uns jeder ein ganzer Mensch, ein ganzer Kämpfer, um der Sozialdemokratie trotz alledem und alledem den Sieg zu erringen.

Mainzer Volkszeitung,

Nr. 228 vom 1. Oktober 1913.

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[1] 4 1899 war in Nordchina der Volksaufstand der Ihotuan ausgebrochen, der 1900 durch die Armeen von acht Staaten unter Führung des deutschen Generals Graf von Waldersee grausam niedergeworfen wurde. Gegen die Teilnahme Deutschlands an der Intervention in China hatten z. B. August Bebel und Paul Singer am 19. und 20. November 1900 im Deutschen Reichstag protestiert und die dafür geforderten Mittel abgelehnt. Von Oktober bis Dezember 1900 veröffentlichte die sozialdemokratische Presse sog. Hunnenbriefe, Soldatenbriefe mit Berichten über die Greueltaten des Expeditionskorps in China. Bei der Besichtigung von Truppen hatte Wilhelm II. am 27. Juli 1900 in Bremerhaven eine chauvinistische, die berüchtigte „Hunnenrede“ gehalten, die in den Worten gipfelte: „Kommt Ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer Euch in die Hände fällt, sei Euch verfallen! Wie vor 1000 Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch Euch in einer Weise betätigt werden, daß niemals ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“ – Im Protest der deutschen Sozialdemokratie gegen die Grausamkeiten des räuberischen Chinafeldzuges unter dem deutschen General von Waldersee veröffentlichte die sozialdemokratische Presse von Oktober bis Dezember 1900 sog. Hunnenbriefe. In den Soldatenbriefen mit Berichten über die Greueltaten wurde der barbarische Charakter des imperialistischen Kolonialkrieges angeprangert. Bei der Besichtigung von Truppen hatte Wilhelm II. am 27. Juli 1900 in Bremerhaven eine chauvinistische, seine berüchtigte „Hunnenrede“ gehalten, die in den Worten gipfelte: „Kommt Ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer Euch in die Hände fällt, sei Euch verfallen! Wie vor 1000 Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Namen Deutscher in China auf 1000 Jahre durch Euch in einer Weise betätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“ Siehe Das persönliche Regiment. Reden und sonstige Äußerungen Wilhelm II. Zusammengestellt von W. Schröder, München 1907, S. 41.

[2] Der Aufstand der Hereros gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Südwestafrika dauerte von Anfang Januar 1904 bis 1907, dem sich im Oktober 1904 die Nama angeschlossen hatten. Unter Leitung des Reichskanzlers Bernhard von Bülow war der Reichstagswahlkampf 1906/1907 durch skrupellosen Chauvinismus für die Weiterführung des Kolonialkrieges gegen die Hereros und Nama gekennzeichnet. Im Unterdrückungsfeldzug hatten die deutschen Kolonialtruppen die Eingeborenen in die Wüste getrieben und von den Wasservorkommen abgeschnitten. Generalleutnant Lothar von Trotha hatte Befehl gegeben, keine Gefangenen zu machen und auf Frauen und Kinder zu schießen, so daß die Hereros und Nama einem grausamen Tod oder unerträglichem Elend ausgeliefert waren. Rosa Luxemburg prangerte im Entsetzen über den Ersten Weltkrieg das mörderische Verbrechen der „Kulturwelt“ erneut an, „welche gelassen zugesehen hatte, als derselbe Imperialismus Zehntausende Hereros dem grausigen Untergang weihte und die Kalahariwüste mit dem Wahnsinnsschrei Verdurstender, mit dem Röcheln Sterbender füllte […] diese[r] ‚Kulturwelt‘ ist erst heute gewahr geworden, daß der Biß der imperialistischen Bestien todbringend, daß ihr Odem Ruchlosigkeit ist.“ In: GW, Bd. 4, S. 161.

[3] Siehe Rosa Luxemburg: Über den politischen Massenstreik. Vortrag auf einer internen Sitzung vor Delegierten und ausländischen Gästen des Jenaer Parteitages der deutschen Sozialdemokratie am 19. und 20. September 1913. In: GW, Bd. 7/2, S. 784 ff.; siehe auch dies.: Die Massenstreikresolution des Parteivorstandes. In: GW, Bd. 3, S. 322 ff.