Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 790

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ausgeschunden wird. Wenn die Junker und Junkergenossen und andere reiche Leute diesen Wehrbeitrag leisten, so haben sie das Geld nicht durch ihren Schweiß erworben, sondern die Arbeiter mußten es erst verdienen. (Sehr richtig!) Die eine Tatsache steht fest, daß die deutsche Militärvorlage und ihre Deckung ein weiterer Grund zum gewaltigen Wettrüsten bei anderen Staaten ist. Die viel zu geduldigen Arbeitermassen müssen die Kosten durch Vermehrung der indirekten Steuern und erhöhte Zölle bezahlen. Es ist eine infame Lüge, wenn die Agenten des Militarismus uns erzählen wollen, die reichen Leute trügen die Kosten. Die Rednerin schildert dann die Wirkungen des Militarismus im Wirtschaftsleben, kommt dann auf die Scheußlichkeiten der Balkankriege[1] zu sprechen und hebt hervor, wie dem Wüten des Militarismus gegenüber die Sozialdemokratie die Abrüstung und den Völkerfrieden predigt. Freilich erst, wenn die Arbeiterklasse in allen Ländern das Heft in den Händen hält, werden diese Ideale verwirklicht werden können. Die herrschenden Klassen wollen freilich nichts davon wissen, daß das werktätige Volk über Krieg und Frieden entscheidet. Der heutige Militarismus hat ganz andere Aufgaben, als das Vaterland zu schützen. Ich erinnere nur an die Hunnenexpedition nach China im Jahre 1900[2] und die Niedermachung wehrloser Frauen und Greise in Südafrika.[3] Nicht der Militarismus hat der deutschen Industrie neue Absatzgebiete geschaffen, sondern die Energie und die Intelligenz der deutschen Arbeiter. Aber wir sind uns darüber klar, daß solange der Kapitalismus besteht, wir den Krieg nicht abschaffen können. Aber wir werden den Kapitalismus besiegen, wenn wir mit aller Macht den Kampf gegen den Krieg führen. Und da gilt es, die letzte Kraft aufzubieten, daß auch der Letzte seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit erfüllt, indem er mit der Waffe der gekreuzten Arme sein Veto gegen das Verbrechen des Krieges einlegt. „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“ (Bravo!) Wir haben den Massenstreik in Jena in eingehender Weise erörtert.[4] Das Proletariat wird sich seiner im gegebenen Momente zu bedienen wissen. In der Not der Stunde kommt das Proletariat zur entschlossenen Tat. Wir rufen der herrschenden Klasse zu: „Nehmt euch in acht! Wir sind nicht waffen- und wehrlos

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[1] Gemeint sind der erste Balkankrieg (Vom 8. Oktober 1912 bis 30. Mai 1913 führten Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro Krieg gegen das Osmanische Reich, der mit dessen Niederlage endete. Dieser Krieg war in seiner Haupttendenz ein nationaler Befreiungskrieg gegen die osmanische Fremdherrschaft auf dem Balkan. Infolge der Einmischung der imperialistischen Großmächte gefährdete er den Frieden in Europa.) und der zweite Balkankrieg vom 29. Juni bis 10. August 1913, durch die die internationalen Spannungen verschärft wurden. Das Osmanische Reich hatte sich bei Verhandlungen während des ersten Balkankrieges im Dezember 1912 nicht bereit gezeigt, die Forderung der siegreichen Balkanländer zu erfüllen, auf die Stadt Adrianopel, die von Bulgarien beansprucht wurde, und auf die Inseln im Ägäischen Meer zu verzichten. Daraufhin drohte Rußland, das besonders für Bulgarien eintrat und am Schicksal Adrianopels interessiert war, seine Neutralität aufzugeben, und zog Truppen an der Kaukasusgrenze zusammen. Zur Unterstützung der osmanischen Regierung ließ Deutschland in St. Petersburg erklären, ein militärisches Vorgehen Rußlands gegen das Osmanische Reich werde als Bedrohung des europäischen Friedens betrachtet. Dadurch ermuntert, begann die im Januar 1913 wieder an die Macht gelangte jungtürkische Regierung erneut die Kampfhandlungen, erlitt aber wiederum eine Niederlage.

[2] 1899 war in Nordchina der Volksaufstand der Ihotuan ausgebrochen, der 1900 durch die Armeen von acht Staaten unter Führung des deutschen Generals Graf von Waldersee grausam niedergeworfen wurde. Gegen die Teilnahme Deutschlands an der Intervention in China hatten z. B. August Bebel und Paul Singer am 19. und 20. November 1900 im Deutschen Reichstag protestiert und die dafür geforderten Mittel abgelehnt. Von Oktober bis Dezember 1900 veröffentlichte die sozialdemokratische Presse sog. Hunnenbriefe, Soldatenbriefe mit Berichten über die Greueltaten des Expeditionskorps in China. Bei der Besichtigung von Truppen hatte Wilhelm II. am 27. Juli 1900 in Bremerhaven eine chauvinistische, die berüchtigte „Hunnenrede“ gehalten, die in den Worten gipfelte: „Kommt Ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer Euch in die Hände fällt, sei Euch verfallen! Wie vor 1000 Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch Euch in einer Weise betätigt werden, daß niemals ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“ – Im Protest der deutschen Sozialdemokratie gegen die Grausamkeiten des räuberischen Chinafeldzuges unter dem deutschen General von Waldersee veröffentlichte die sozialdemokratische Presse von Oktober bis Dezember 1900 sog. Hunnenbriefe. In den Soldatenbriefen mit Berichten über die Greueltaten wurde der barbarische Charakter des imperialistischen Kolonialkrieges angeprangert. Bei der Besichtigung von Truppen hatte Wilhelm II. am 27. Juli 1900 in Bremerhaven eine chauvinistische, seine berüchtigte „Hunnenrede“ gehalten, die in den Worten gipfelte: „Kommt Ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer Euch in die Hände fällt, sei Euch verfallen! Wie vor 1000 Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Namen Deutscher in China auf 1000 Jahre durch Euch in einer Weise betätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“ Siehe Das persönliche Regiment. Reden und sonstige Äußerungen Wilhelm II. Zusammengestellt von W. Schröder, München 1907, S. 41.

[3] Der Aufstand der Hereros gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Südwestafrika dauerte von Anfang Januar 1904 bis 1907, dem sich im Oktober 1904 die Nama angeschlossen hatten. Unter Leitung des Reichskanzlers Bernhard von Bülow war der Reichstagswahlkampf 1906/1907 durch skrupellosen Chauvinismus für die Weiterführung des Kolonialkrieges gegen die Hereros und Nama gekennzeichnet. Im Unterdrückungsfeldzug hatten die deutschen Kolonialtruppen die Eingeborenen in die Wüste getrieben und von den Wasservorkommen abgeschnitten. Generalleutnant Lothar von Trotha hatte Befehl gegeben, keine Gefangenen zu machen und auf Frauen und Kinder zu schießen, so daß die Hereros und Nama einem grausamen Tod oder unerträglichem Elend ausgeliefert waren. Rosa Luxemburg prangerte im Entsetzen über den Ersten Weltkrieg das mörderische Verbrechen der „Kulturwelt“ erneut an, „welche gelassen zugesehen hatte, als derselbe Imperialismus Zehntausende Hereros dem grausigen Untergang weihte und die Kalahariwüste mit dem Wahnsinnsschrei Verdurstender, mit dem Röcheln Sterbender füllte […] diese[r] ‚Kulturwelt‘ ist erst heute gewahr geworden, daß der Biß der imperialistischen Bestien todbringend, daß ihr Odem Ruchlosigkeit ist.“ In: GW, Bd. 4, S. 161.

[4] Siehe Rosa Luxemburg: Über den politischen Massenstreik. Vortrag auf einer internen Sitzung vor Delegierten und ausländischen Gästen des Jenaer Parteitages der deutschen Sozialdemokratie am 19. und 20. September 1913. In: GW, Bd. 7/2, S. 784 ff.; siehe auch dies.: Die Massenstreikresolution des Parteivorstandes. In: GW, Bd. 3, S. 322 ff.