Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 748

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-7-2/seite/748

befragt und antwortete ihm folgendes: Wir haben die Ehre, folgende von der Rettungsstation der Gesellschaft in Łódź registrierten Angaben mitzuteilen. Im Januar (des Jahres 1913) wurde schnelle Hilfe bei 419 Unfällen, im Februar bei 332 [geleistet], im März gab es bis zum 9. des Monats, also in neun Tagen, 300 Unfälle. Die einen Unfälle bezogen sich auf eingetretenen Tod, die anderen auf volle Kräfteerschöpfung infolge des Hungerns, und alle diese Erscheinungen bezogen sich in ihrer Mehrzahl, streng genommen, auf die Arbeitslosigkeit.

Im Mai gab es in der Petersburger Duma eine Interpellation der sozialdemokratischen Fraktion in Sachen des Notstands und der Arbeitslosigkeit in Łódź.

Endlich erfolgte im Frühjahr eine Besserung. Auf die Krise folgte eine starke allgemeine Belebung der Geschäfte in der Textilindustrie. Seit Mai/Juni haben die Fabriken in Łódź alle Hände voll zu tun. Selbstverständlich beschlossen die Arbeiter, auch für sich von der guten Konjunktur einigen Nutzen zu ziehen, um wenigstens einen Teil der ihnen seit 1907 entrissenen Lohnaufbesserungen wieder zu erringen und sich der ärgsten Not zu erwehren. Sie stellten im Juni allgemein Lohnforderungen, die sich auf 20–25 Prozent Aufbesserungen beliefen, und da die Fabrikanten ein kategorisches Nein entgegenstellten, so trat ein Teil der Arbeiter in den Streik. Nun aber holten die Łódźer Kapitalmagnaten abermals, wie 1907, zu einem vernichtenden Schlag aus: Auf den Streik antworteten sie mit einer Riesenaussperrung. Gegenwärtig sind bereits alle namhaften Fabriken geschlossen: bei Scheibler, Geyer, Posnański, Kunitzer, Krusche, Ender, Bennich, Kindler, Gebr. Steigert, Findeisen, Eisert, Kestenberg usw. (Die Namen zeigen, daß die Fabrikanten vorwiegend Deutsche sind.) Im ganzen sind gegenwärtig 40000 Arbeiter ausgesperrt.

Der Plan der Unternehmer ist klar: Die Arbeiter sollen gleich bei dem ersten Versuch, aus dem Elend herauszukommen, eines besseren belehrt werden. Ihnen soll sofort der Fuß auf den Nacken gesetzt werden, damit sie sich nicht einbilden, den Gewerkschaftskampf und die Organisation wieder aufnehmen zu dürfen. Die gute Konjunktur soll nur der kapitalistischen Plusmacherei dienen, für die Arbeiter soll das alte Elend der Krisenzeit weiter dauern! Das ist der saubere Plan der Łódźer Textilbarone, die ihre geheimen Beratungen abhalten und wie 1907 solidarisch gegen die Arbeiter vorgehen.

Die brutale Taktik der Unternehmer hat begreiflicherweise unter der Łódźer Arbeiterschaft die größte Erbitterung hervorgerufen. Die Erregung wird noch gesteigert durch die Kosaken-Sotnien [Hundertschaften], die auf Wunsch der Fabrikanten Łódź überschwemmt haben und die Arbeiter terrorisieren. Die Situation ist so gespannt, daß eine weitere Ausdehnung der Bewegung auf alle anderen Berufe in Łódź nicht ausgeschlossen ist. Die Bescheidenheit der Forderungen der Łódźer Textilarbeiter, ihre heldenhafte Ausdauer in den langen Jahren des Kampfes und der Not wecken in der gesamten Arbeiterschaft Polens die lebhafteste Sympathie, während sie die tückische Niedertracht der Kapitalprotzen aufs äußerste empört.

Nächste Seite »