Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 706

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Damit ist schon angedeutet, was politisch über die Rede des Herrn Bethmann zu sagen ist. Ein Mann wie er, der als deutscher Reichskanzler wie als preußischer Ministerpräsident sich stets als gefügiger Handlanger von Junkern und Pfaffen erwiesen hat, der das Wahlrechtsversprechen seines Königs verschimmeln und verfaulen läßt, lediglich, weil Junker und Pfaffen es so wollen, der die Halbmilliardenbesteuerung hat Gesetz werden lassen, ebenfalls auf Befehl von Junkern und Pfaffen, der auswärtige Politik treibt nach dem Stil des einstigen türkischen Sultans – lediglich als Geheimbetrieb einer winzigen Clique – der darf sich nachher nicht hinstellen und über die Gemeingefährlichkeit der Parteien jammern, deren williger Handlanger er bisher gewesen ist. Er scheint gar nicht zu fühlen, daß er damit sich selber und die ganze deutsche Regiererei auf das Fürchterlichste bloßstellt. Wenn zwei Schelme sich streiten, erfahren die ehrlichen Leute die Wahrheit. So ging’s auch gestern im Reichstage. Bei der Rauferei zwischen dem deutschen Absolutismus und dem preußischen Junkertum erfuhren wir zwar nichts Neues, aber es wurde doch bestätigt, was wir schon immer gesagt hatten. Wenn Herr Bethmann das preußische Junkertum als eine gemeingefährliche Bande von Beutepolitikern hinstellt, die zum Kriege hetzen, weil sie durch einen Krieg ihre schäbigen Wahl- und Fraktionsinteressen zu verbessern hoffen, so hatte er recht. Und wenn auf der andern Seite Herr Heydebrand oder sein liberaler Spießgeselle Bassermann die deutsche Regierungsclique als absolut unfähig hinstellt, so hat er auch recht. Sie stinken alle beide, der Mönch wie der Rabbi,[1] der Heydebrand-Bassermann, wie der Bethmann Hollweg, der bürokratische Absolutismus wie der imperialistische Parlamentarismus.

Und wir werden aus dieser lustigen Katzbalgerei bei den Wahlen gehörig Kapital schlagen, darauf können die Gegner sich verlassen, und zwar dergestalt, daß das Kapital und die Gegner die Schläge bekommen.

Leipziger Volkszeitung,

Nr. 262 vom 11. November 1911.

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[1] Gewiß eine Anlehnung an Heinrich Heine in Romanzero, Disputation, wo Donna Blanka am Ende spricht: „Welche recht hat, weiß ich nicht –/ Doch es will mich schier bedünken,/ Daß der Rabbi und der Mönch,/ Daß sie alle beide stinken.“ Siehe Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Hrsg. von Hans Kaufmann, Bd. 2, Berlin und Weimar 1980, S. 178.