Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 607

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Hoffnung der Herrschenden ist, so sind sie schon von vornherein getäuscht. Die Gesellschaft hat die Arbeiter leider gelehrt, ihr Leben gering zu schätzen. Was bedeuten die Opfer der Kriege auf dem Schlachtfelde der Arbeit? Das Jahr 1909 brachte die entsetzliche Summe von 635000 Betriebsunfällen, und die Jahre 1884–1900 sahen 99000 Tote der Industrie zum Opfer fallen. Angesichts solcher Tatsachen glaubt die herrschende Gesellschaft noch, wir könnten Blutbäder, könnten ihre letzten erbärmlichsten Waffen fürchten. Sollten jemals in Berlin die Kanonen ihren verderblichen Schall hören lassen, dann ist es gewiß, daß dieser Schall in ganz Deutschland ein Echo erwecken wird, von dem unseren Feinden das Grauen kommen wird. Durch Blutvergießen wird und will sich das Proletariat nicht um den Anteil an der Kultur prellen lassen. (Stürmischer Beifall.) Wie uns das Sozialistengesetz[1] keine Niederlage brachte, so werden uns auch andere Gewaltmaßregeln unserer Feinde nicht niederzwingen können. Es gibt keine Niederlagen auf dem Wege zum Sozialismus. Und schließlich muß uns auch der siegreiche Wahlrechtskampf nichts anderes sein, als eine Etappe zu unserem sozialistischen Endziel. Wenn wir auch im gegenwärtigen Kampf kämpfen um Bürgerrecht, und damit in Wirklichkeit einlösen wollen eine fremde Schuld, die die liberale Bourgeoisie gemacht hat, so sind wir uns doch immer bewußt, daß das nicht der einzige oder eigentliche Kern der Frage ist. Um bürgerlich-demokratische Rechte allein geht unsere Mission nicht. Hinter dieser Etappe, wenn sie siegreich gewonnen ist, winkt der Sozialismus. Wir können nicht sagen, wann wir die kapitalistische Produktion, die Herrschaft des Kapitals, werden überwunden haben. Aber größer war die Empörung über die Unhaltbarkeit der Zustände, und die Erkenntnis von der Fluchwürdigkeit des Systems und dem Maß der Bedrückung niemals wie heute. Und je tiefer diese Erkenntnis, desto näher sind die Unterdrückten ihrem Ziele. Und in diese Zeit der Siegeszuversicht wagt man ein Stück Barbarei des Mittelalters mit Gewalt hinüberzuretten. Da gilt es, den letzten Ansturm mit aller Kraft zu parieren. Früher oder später muß der Sieg unser sein! Für uns gibt es kein Zurück! Die Schanze muß genommen werden, trotz alledem!

Arbeiter-Zeitung (Dortmund),

Nr. 86 vom 14. April 1910.

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[1] Das mit 221 gegen 149 Stimmen im Deutschen Reichstag am 19. Oktober 1878 auf Druck von Otto von Bismarck angenommene Gesetz „gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ trat am 21. Oktober 1878 mit seiner Verkündung in Kraft. Es stellte die deutsche Sozialdemokratie außerhalb des Gesetzes, unterwarf ihre Mitglieder Verfolgungen und Schikanen und erschwerte die Arbeit der Partei außerordentlich. Unter Druck der Massen und angesichts der Differenzen innerhalb der herrschenden Klassen, die sich im Reichstagswahlergebnis am 20. Februar 1890 widerspiegelten, lehnte der Deutsche Reichstag am 25. Januar 1890 mit 169 gegen 98 Stimmen die Verlängerung des Sozialistengesetzes in dritter Lesung ab. Siehe dazu u. a. Nach 20 Jahren. In: GW, Bd. 6, S. 232 ff.