Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 598

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1848 begonnene Werk, das freie Wahlrecht, auf der Straße zu erringen. Aber heute brauchen wir keine Barrikaden mehr. Heute ist das Proletariat die größte Macht des Staates. Unsere Aufgabe ist es, diese Macht zu benutzen.

Wenn einmal die Stunde geschlagen, wo die Riesenarmee der Proletarier die Arme schränkt und spricht: „Nun seht zu, wie ihr auskommt ohne unsere Arbeit“, dann wird sich zeigen, daß der Staat wohl existieren kann ohne Junker, ohne nationalliberale Scharfmacher, ohne Minister und ohne Schutzleute, aber nicht 24 Stunden ohne Arbeiter.

Wir haben bisher noch alle Feinde besiegt. Denken wir nur an das Sozialistengesetz,[1] zwölf Jahre hat es gedauert, dann lag es samt seinem Urheber Bismarck zerschmettert am Boden. Es gibt keine Macht der Finsternis, die uns in unserem Siegeslauf aufhalten kann. Parteigenossen, wo wir heute unsern ersten Sieg feiern, sollen wir dessen eingedenk sein. So wie wir heute auf dem Wagen stehen und zu Ihnen sprechen, so werden Sie, wird das Volk in seinem Kampfe um Recht und Gerechtigkeit auf seinem Siegeswagen stehen, und seine Feinde werden zerschmettert unterm Wagen liegen. Darum, das allgemeine, freie, gleiche und direkte Wahlrecht hoch, hoch, hoch!

Arbeiter-Zeitung (Dortmund),

Nr. 84 vom 12. April 1910.

Wiederveröffentlicht durch Horst Hensel: Rosa Luxemburgs Auftritte im Ruhrgebiet und ihre Teilnahme an der Wahlrechtsdemonstration der SPD am 10. April 1910 in Kamen. In: Kultur als Fenster zu einem besseren Leben und Arbeiten. Festschrift für Rainer Noltenius. Hrsg. von der Fritz Hüser-Gesellschaft unter der Leitung von Volker Zaib, Bielefeld 2003, S. 73.

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[1] Das mit 221 gegen 149 Stimmen im Deutschen Reichstag am 19. Oktober 1878 auf Druck von Otto von Bismarck angenommene Gesetz „gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ trat am 21. Oktober 1878 mit seiner Verkündung in Kraft. Es stellte die deutsche Sozialdemokratie außerhalb des Gesetzes, unterwarf ihre Mitglieder Verfolgungen und Schikanen und erschwerte die Arbeit der Partei außerordentlich. Unter Druck der Massen und angesichts der Differenzen innerhalb der herrschenden Klassen, die sich im Reichstagswahlergebnis am 20. Februar 1890 widerspiegelten, lehnte der Deutsche Reichstag am 25. Januar 1890 mit 169 gegen 98 Stimmen die Verlängerung des Sozialistengesetzes in dritter Lesung ab. Siehe dazu u. a. Nach 20 Jahren. In: GW, Bd. 6, S. 232 ff.