Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 90

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der Dreyfus-Krise. Die Gruppe Jaurèsʼ ließ damals nur erst ihre eigenen Anschauungen im Stich.

In den Verhandlungen über das Assoziationsgesetz gestalteten sich die Verhältnisse anders. Durch keine äußeren Umstände in ihrer Taktik gebunden, schlugen hier Vaillant, Zévaès und ihre Freunde sofort den einzigen sozialistisch zulässigen Weg ein: Es war dies der Kampf um die Erhaltung und Potenzierung aller antiklerikalen und um Abschwächung und Beseitigung aller antisozialistischen Bestimmungen des zwieschlächtigen Gesetzes. Den gerade entgegengesetzten Weg schlugen aber Viviani und Genossen ein. Indem sie zur Unterstützung der Regierung mit der republikanischen Majorität durch dick und dünn gingen, fielen sie auf Schritt und Tritt ihren eigenen Fraktionsgenossen in den Rücken.

Vaillant und Groussier mit Genossen bekämpften mit aller Macht den berüchtigten § 12 des Gesetzes, der gegen internationale Arbeiterverbindungen gerichtet war – gleichzeitig stimmten 21 sozialistische Abgeordnete vom rechten Flügel zusammen mit allen Reaktionären, wie Motte, Baudry dʼAsson, Méline, Graf de Mun, für diesen Paragraphen. Vaillant und Zévaès stellten im Sinne der Rede Vivianis den Antrag, wonach alle geistlichen Orden aufgelöst und verboten werden sollten – Viviani und noch 22 seiner Freunde lehnten mit Klerikalen und Monarchisten diesen Antrag ab. Groussier beantragte ein von allen sozialistischen Abgeordneten gezeichnetes Amendement zur Erweiterung des Koalitionsrechts der Arbeiter – 13 sozialistische Abgeordnete vom rechten Flügel gaben ihr Votum gegen ihr eigenes Amendement ab.

Und dasselbe wiederholte sich in allen Zwischenfällen, die in die Periode der Verhandlungen über das Assoziationsgesetz fielen.

Während der Interpellation über die Provokationen der Regierung in dem Kohlenarbeiterstreik in Montceau[1] stellt Dejeante mit Genossen den Antrag, worin die Regierung aufgefordert wird, das Militär aus dem Streikgebiet zu entfernen und die brachliegenden Kohlengruben in eigene Regie zu übernehmen – 20 sozialistische Abgeordnete verweigern diesem Antrag ihre Unterstützung. Ja noch mehr; in derselben Sitzung geben 21 Sozialisten zusammen mit den Vertretern der kapitalistischen Reaktion der Regierung ein volles Vertrauensvotum in Sachen des Streiks. Endlich, während die Gruppe Vaillant-Zévaès geschlossen gegen das Budget votiert, enthalten sich 8 Abgeordnete der anderen Gruppe der Abstimmung, und 4 votieren für das Budget mit seinen Ausgaben für Kultus, Kolonien, Militär und Marine.

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[1] Im Februar 1901 waren in Montceau-les-Mines die Bergarbeiter für Lohnerhöhung und Verkürzung der Arbeitszeit in den Streik getreten. Kurz darauf wurden 3 000 Soldaten in der Stadt einquartiert, unter deren Schutz im März Mitglieder sogenannter gelber Gewerkschaften die Arbeit aufnahmen. Im Mai 1901 beendeten die Bergarbeiter den Streik, ohne eine Verbesserung ihrer Lage erreicht zu haben.