Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 477

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Die Revolution in Rußland

Bald richt’ ich mich rasselnd in die Höh’,

Bald kehr’ ich reisiger wieder.

Die kapitalistische Welt und mit ihr der internationale Klassenkampf scheint endlich aus der Stagnation, aus der langen Phase des parlamentarischen Kleinkriegs heraustreten und wieder in eine Periode elementarer Massenkämpfe eintreten zu wollen. Es ist zwar diesmal nicht der gallische Hahn, der wieder, wie es Marx erwartete, die nächste revolutionäre Morgendämmerung in Europa durch sein keckes Krähen verkündet. Gerade für Frankreich haben sich die Moräste der parlamentarischen Periode am gefährlichsten erwiesen, und es scheint die internationale Führung im Klassenkampf vorläufig aus den Händen gegeben zu haben. Der Ausgangspunkt der nächsten revolutionären Welle hat sich vom Westen nach dem Osten verschoben: In Deutschland und in Rußland sind nun fast gleichzeitig zwei gewaltige soziale Kämpfe, zwei proletarische Massenerhebungen ausgebrochen, die mit einem Male wieder die im Schoße der modernen Gesellschaft arbeitenden revolutionären Elementarkräfte an die Oberfläche gezerrt und alle jene Illusionen über den nunmehr ruhigen, „gesetzlichen“ Verlauf der Entwicklung, die während der internationalen Windstille üppig in die Höhe geschossen waren, wie leichte Spreu in alle Winde zerstreut haben. Wer hat den Generalstreik im Ruhrgebiet[1] „gewollt“, und

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[1] Am 7. Januar 1905 hatten die Bergarbeiter der Zeche Bruchstraße in Langendreer aus Protest gegen Arbeitszeitverlangerung und geplante Zechenstillegungen die Arbeit niedergelegt. Bis zum 16. Januar hatten sich etwa 100 000 Arbeiter anderer Zechen dem Streik angeschlossen. Unter dem Druck der Bergarbeiter sahen sich die Fahrer der freigewerkschaftlichen, der christlichen und Hirsch-Dundkerschen Bergarbeiterverbände sowie der Polnischen Berufsvereinigung, die den Streik lokalisieren wollten, gezwungen, am 17. Januar offiziell den Streik zu proklamieren. Danach standen täglich rund 215 000 Bergarbeiter im Kampf für die Achtstundenschicht, für höhere Löhne, für Grubensicherheit und für Beseitigung aller Maßregelungen wegen politischer Tätigkeit. Am 9. Februar wurde der Streik durch die Streikleitung gegen den Willen der Bergarbeiter ergebnislos abgebrochen.