Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 306

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Dem Andenken des „Proletariat“

Schon seit vielen Jahren finden am Jahrestage des Heldentodes von Kunicki, Bardowski, Ossowski und Pietrusiliski[1] an den Gräbern der für die Sache des internationalen Sozialismus Gefallenen sozialpatriotische Umtriebe statt, die das Andenken der Gründer der ersten sozialistischen Partei in Polen[2] verletzen. Wir denken hier an die alljährlichen Feiern, die insbesondere im Ausland von den Organisationen der Polnischen Sozialistischen Partei[3] veranstaltet werden und den Zweck haben, die Vergangenheit der polnischen Arbeiterbewegung zugunsten des heutigen Nationalismus, der sich hinter dem Banner des Sozialismus verbirgt, zu usurpieren. Wir denken an die aufdringlichen Huldigungen der PPS, einer Richtung, deren programmatische Bekenntnisse und politische Ethik unvereinbar sind mit dem ganzen Leben und der Tätigkeit der Gefallenen.

Gestalten, die auf einem solchen geistigen Niveau wie jene vier stehen, die für die Idee erhobenen Hauptes in den Tod gingen und sterbend noch den zurückgebliebenen Genossen Worte der Ermutigung und Begeisterung zuriefen, sind zweifellos nicht das ausschließliche Eigentum irgendeiner

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[1] Am 28. Januar 1886 waren die Mitglieder des Zentralkomitees der Partei „Proletariat“ Stanislaw Kunicki, Piotr Bardowski, Michał Ossowski und Jan Pietrusiński hingerichtet worden. Sie waren in einer Verhaftungswelle im Frühjahr und Sommer 1884 zusammen mit Hunderten von Revolutionären festgenommen worden.

[2] Die 1882 von Ludwik Waryński gegründete erste sozialrevolutionäre Arbeiterpartei im Königreich Polen, genannt das „I.“ oder „Große Proletariat“, wurde 1886 in einer großen Verhaftungswelle zerschlagen. – Das von Marcin Kasprzak gegründete „II.“ oder „Kleine Proletariat“ bestand von 1888 bis 1893.

[3] Die Polnische Sozialistische Partei war im November 1892 auf einem Kongreß polnischer Sozialisten unter Führung von Bolesław Limanowski in Paris gegründet worden. In ihr Programm hatte sie den Kampf für die Unabhängigkeit Polens aufgenommen, die aber nicht auf revolutionärem Wege im Bündnis mit dem russischen Proletariat errungen werden sollte, sondern durch eine allmähliche Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Polen. Innerhalb der PPS bestand eine linke Gruppe, die sich 1906 abspaltete.