Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 307

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Partei, Gruppe oder Sekte. Der Platz solcher Schatten ist im Pantheon der ganzen Menschheit, und es ist jedem gestattet, der die Idee der Freiheit aufrichtig liebt, welchen Inhaltes und welcher Form sie auch ist, ihnen seine Huldigung als verwandten Geistern darzubringen und ihr Andenken zu ehren. Sofern sich besonders die polnische akademische Jugend an den Gedenkfeiern zu Ehren des „Proletariat“ zahlreich beteiligt, begrüßen wir das mit ehrlicher Freude als ein Zeichen des Idealismus und der vielversprechenden revolutionären Sympathien in den Kreisen unserer Intelligenz.

Wir wollen also das Andenken der Helden des „Proletariat“ nicht zu unserem Monopol erklären oder wegen enger Parteiinteressen darum kämpfen wie um den Leichnam des Patroklos. Aber wenn die Ehrung des Andenkens der Gehenkten zu einem gedankenlosen und marktschreierischen Sport wird, wenn sie zu einer gewöhnlichen Reklame eben für das Geschäft einer bestimmten politischen Gruppe erniedrigt worden ist, ja wenn für diese niedrigen Absichten die eigenen Ideen und die eigenen Taten der Anhänger des „Proletariat“, für die sie ins Martyrium gegangen sind, vor dem Antlitz der öffentlichen Meinung rücksichtslos zerstört und verfälscht werden, dann ist es die einfachste Pflicht derjenigen, die dem Geiste ihrer Prinzipien nach in erster Linie die Erben der revolutionären Traditionen des „Proletariat“ sind, laut zu protestieren. Wir sind überhaupt nicht Anhänger dieses regelmäßigen, alljährlichen Feierns der revolutionären Gedenktage, das schon durch seine mechanische Regelmäßigkeit zu einer alltäglichen und, wie alles Gewohnheitsmäßige, in einem gewissen Maße zu einer banalen Sache wird. Wir sind jedoch der Meinung, daß im gegenwärtigen Augenblick die geeignetste Huldigung für die Gefallenen des 28. Januar sein wird, nachzuweisen, daß ihre Gräber nicht der passende Ort sind, um sozialpatriotische Purzelbäume zu schlagen oder Zinnsoldaten für den „nationalen Aufstand“ abzurichten.

Darüber hinaus sind überhaupt die Traditionen der vorangegangenen Phasen der sozialistischen Bewegung in unserem Lande der gegenwärtigen Generation polnischer Revolutionäre leider so wenig bekannt, daß es nach unserer Meinung an der Zeit ist, die Erinnerungen an die vergangene Geschichte unseres Kampfes aufzufrischen, die eine reiche Schatzkammer sowohl für die moralische Stärkung als auch für den politischen Unterricht in der Gegenwart sind. Es ist vor allem höchste Zeit, das geistige Antlitz der ersten stark organisierten und einflußreichen sozialistischen Partei in Polen, des „Proletariat“, im Lichte ihrer Worte und Taten, im Lichte der historischen Wahrheit zu zeigen.

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