Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 26

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keit. Und daraus erklärt es sich auch genügend, daß die „Verteidigung“ Waldeck–Millerands die Republik noch nicht dem Staatsstreich ausgeliefert hat. Diejenigen aber, die heute noch mit derselben Überzeugung von der monarchistischen Gefahr reden wie vor zwei Jahren und mit dieser Gefahr den Schritt Millerands nach wie vor begründen, treiben da ein gefährliches Spiel. Je ernster man die Situation schildert, desto kläglicher erscheint die Aktion des Ministeriums, desto fraglicher die Rolle des Sozialisten in diesem Ministerium.

War die monarchistische Gefahr, wie wir es darzutun suchten, gering, dann ist die großspurig eingeleitete und mit einem Fiasko beendete Rettungsaktion der Regierung eine Lächerlichkeit. War dagegen diese Gefahr groß und ernst, dann ist die Scheinaktion des Kabinetts ein Verrat an der Republik und an den ihm vertrauenden Parteien.

Und in beiden Fällen hat die Arbeiterklasse durch die Ministerschaft Millerands nicht die „large part de responsabilités“, nicht den weitgehenden Anteil an der republikanischen Verantwortlichkeit, den Jaurès und seine Freunde so stolz beanspruchten, sondern einen Anteil an der eklatanten „republikanischen“ Blamage des kleinbürgerlichen Radikalismus eingeheimst.

III Die Taktik Jaurèsʼ und der Radikalismus

Der Widerspruch zwischen den Erwartungen, die man auf die republikanische Verteidigung des Kabinetts Waldeck-Rousseau gesetzt, und seinen tatsächlichen Leistungen hat diejenige Fraktion des französischen Sozialismus, die den Eintritt Millerands in das Kabinett unterstützte, vor eine Alternative gestellt. Sie mußte entweder ihre Enttäuschung eingestehen, die Zwecklosigkeit der Teilnahme Millerands an der Regierung einsehen und seinen Rücktritt fordern oder aber sich mit der Politik des Kabinetts zufriedengeben, sie als die Verwirklichung ihrer Erwartungen erklären und demgemäß diese Erwartungen resp. Forderungen entsprechend der stufenweise in nichts zusammenfallenden Aktion der Regierung immer mehr herabstimmen. Jaurès und seine Freunde haben den letzteren Weg eingeschlagen.

Solange das Ministerium sich um die Hauptsache herumdrückte und erst in der Phase der provisorischen Geplänkel verharrte – und diese Phase dauerte ganze achtzehn Monate –, konnte die Richtung, die seine Politik

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