Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 81

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an der gesamten Regierungspolitik geübt – durch die schließliche Bewilligung der Existenzmittel an dieselbe Regierung wäre ihre sonstige Opposition zur leeren Phrase gemacht. Das Entscheidende für die Beurteilung der politischen Stellung einer Partei, dasjenige, was die Sozialdemokratie im Parlament von allen bürgerlichen Parteien unterscheidet, ist die prinzipielle Bekämpfung der bürgerlichen Regierung überhaupt, die sich am deutlichsten in der Ablehnung des Finanzgesetzes äußert. Durch die Annahme des Budgets haben sich Fendrich und Genossen, die in den Landtag zur Bekämpfung der Klassenpolitik der badischen Regierung von ihren Wählern geschickt wurden, zu Mitschuldigen und Mitverantwortlichen dieser Klassenpolitik gemacht, das heißt, sie haben ihren Charakter als sozialdemokratische Volksvertreter verleugnet.

II

Der innere Zusammenhang, welcher zwischen den Grundsätzen und der Taktik der Sozialdemokratie besteht, bewirkt es, daß eine Politik, die vom prinzipiellen Standpunkt verwerflich ist, nimmermehr vom taktischen als angebracht erscheinen kann.

Treten wir auf den Standpunkt Fendrichs und Genossen über, und nehmen wir für einen Augenblick an, das Verhalten der sozialdemokratischen Abgeordneten bei der Budgetabstimmung in den Einzelstaaten sei lediglich eine Frage der Taktik. Nehmen wir desgleichen mit ihnen an, unsere Partei lehne im Reichstag das Finanzgesetz deshalb ab, weil es zum größten Teile auf den Militarismus zugeschnitten ist. Auch in diesem Falle, das heißt vom eigenen taktischen Standpunkt der badischen Abgeordneten aus, erscheint ihre Budgetbewilligung als ein grober politischer Fehler.

Es ist in der Tat angesichts der organischen Einheit, welche politisch zwischen dem Deutschen Reiche und seinen Bestandteilen existiert, nichts als Inkonsequenz, dem Reiche die Mittel zu verweigern, den Einzelstaaten aber zu bewilligen. Der Militarismus, um deswillen man die Ablehnung des Reichsbudgets gelten lassen will, wird vom Deutschen Reiche nicht etwa irgendwo außerhalb der Bundesstaaten oder in ihren Intermundien gepflegt, sondern er wird aktiv und passiv von Baden wie von allen anderen Staaten mitgemacht. Es ist ja gerade die reaktionäre Haltung der deutschen Bundesstaaten in den Fragen des Militarismus und der auswärtigen Politik, wie sie sich bei der letzten Flottenvorlage[1] gezeigt hat, die

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[1] Am 20. Juni 1899 hatte die Regierung im Reichstag einen Gesetzentwurf „zum Schutz der gewerblichen Arbeitsverhältnisse“, die sogenannte Zuchthausvorlage, eingebracht, die sich gegen die zunehmende Streikbewegung richtete und die Beseitigung des Koalitions- und Streikrechts der Arbeiter bezweckte. Auf Grund gewaltiger Massenaktionen konnte diese Vorlage am 20. November 1899 im Reichstag gegen die Stimmen der Konservativen zu Fall gebracht werden. Dieser Gesetzentwurf geht auf einen Geheimerlaß vom 11. Dezember 1897 zurück, den der „Vorwärts“ am 15. Januar 1898 veröffentlicht hatte.