Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 509

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Die Revolution in Rußland

I

Die epochemachenden Ereignisse in Petersburg[1] haben in den Reihen der aufgeklärten deutschen Arbeiterschaft nicht bloß die tiefste Erregung, die brennendste Empörung gegen das mordende Knutenregime und die brüderlichste, wärmste Sympathie für die heroisch kämpfenden russischen Proletarier hervorgerufen. Sie haben auch eine Reihe Fragen aufgeworfen über den Charakter, die Bedeutung, den Ursprung, die Aussichten der russischen revolutionären Bewegung, die nur zu berechtigt sind. Sich vor allem über den inneren Sinn, über den politischen, geschichtlichen Inhalt der Bewegung klarzuwerden – das ist unsere erste Aufgabe. Der alte Liebknecht sagt in seinen Erinnerungen über Karl Marx: für ihn war die Politik vor allem ein Studium.[2] Und Marx sollte darin für uns alle vorbildlich sein. Als Sozialdemokraten sind wir ja und müssen ewige Schüler sein, nämlich Schüler, die bei der großen Lehrmeisterin, der Geschichte, in die Schule gehen. Namentlich ist für uns als revolutionäre Partei jede Revolution, die wir erleben, eine Fundgrube historischer und politischer Erfahrungen, die unseren geistigen Horizont erweitern, uns für unsere Endziele, unsere eigenen Aufgaben reifer machen sollten. So muß auch die Stellung der deutschen Sozialdemokratie zu den Ereignissen in Rußland sich von der Stellung der bürgerlichen Parteien nicht bloß dadurch unterscheiden, daß wir jubeln, wo sie reaktionär geifern oder angstvoll-liberal zwischen Freude und Niedergeschlagenheit hin und her schwanken, sondern vor allem auch dadurch, daß wir den inneren Sinn der Ereignisse vollkommen erfassen und begreifen, wo sie verständnislos nur das Äußere, den mate-

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[1] Siehe S. 479, Fußnote 1.

[2] Siehe Wilhelm Liebknecht: Karl Marx zum Gedächtnis. Ein Lebensabriß und Erinnerungen. In: Mohr und General. Erinnerungen an Marx und Engels. Berlin 1964, S. 77.