Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 464

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ist ganz von Kautsky, aber jeder Gedanke und jedes Wort ist von Marx, und was uns geboten wird, ist ein organisches Ganzes von hoher Formreife. Wer nicht seinen Form- und Stilgeschmack an der modernen glatten Schönschreiberei, an der pedantisch ziselierten, in kleinen Schnörkeln kokett gearbeiteten Form verdorben hat, wird sogar mit ästhetischem Genuß den nachlässig hingeworfenen Rohbau betrachten, bei dem der innere, grobkörnige Marmor des Gedankenstoffes um so schimmernder zutage tritt. Die ganz ungekünstelte Disposition, die Kautsky gewählt hat, ist auch deshalb glücklich, weil sie den Leser je weiter, je angenehmer enttäuscht und stärker fesselt. Zuerst finden wir nur lose Bemerkungen und Zitatenbündel, wie wenn man in einem privaten Notizhefte mit nachlässiger Hand aus der Mitte blättern würde. Bald tauchen mitten in den Fragmenten einzelne Gedankenblitze auf, die mit einemmal auf ganze Epochen und Schulen ein grelles Licht werfen und dem Leser das sichere Bewußtsein einer festgefügten allgemeinen Konzeption geben, die den Fragmenten zugrunde liegt. Nach und nach verbinden sich einzelne kritische Striche und Fragmente zu einem großangelegten Geschichtswerk, und schließlich kommen noch drei umfangreiche Abschweifungen, in denen Marx, aus der Geschichte in die Theorie der Nationalökonomie fallend, sich in die Lösung wichtiger Probleme vertieft, auf die ihn seine kritische Analyse der bürgerlichen Ökonomie gebracht hat. Mit liebevoller Sorgfalt und innigstem Verständnis hat Kautsky, unbeschadet der durchsichtigen und einheitlichen Buchkomposition, jedes kleinste Gedankenkörnlein aus der letzten nachgelassenen Arbeit Marxens herauszulesen, zu retten und in dem Ganzen anzubringen gewußt.

I

Das Buch heißt „Theorien über den Mehrwert“, und dieser Titel deckt sich auch formell mit dem überwiegenden Inhalt des vorliegenden ersten Bandes. Doch wer die Rolle und die Bedeutung der Mehrwerttheorie in dem Marxschen ökonomischen Lehrgebäude kennt, wird von vornherein wissen, daß es sich hier nicht um eine Teiluntersuchung, um eine geschichtliche Monographie, sondern um das innerste Wesen selbst der Nationalökonomie in ihrem historischen Werdegang handelt. Friedrich Engels sagt in seinem „Anti-Dühring“: „Indem Marx ... nachwies, wie Mehrwert entsteht und wie allein Mehrwert unter der Herrschaft der den Austausch von Waren regelnden Gesetze entstehn kann, legte er den Mechanismus

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