Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 519

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Terror

Seit dem erfolgreichen Attentat auf den Zaren Alexander II.[1] hat es in Rußland keinen terroristischen Akt von solcher politischen Resonanz gegeben wie die Tötung des Moskauer Bluthundes, des Sergius Romanow[2]. Und vom Standpunkte der moralischen Befriedigung, die jeder anständige und rechtlich denkende Mensch bei der befreienden Tat empfinden muß, steht das Attentat auf den Großfürsten Sergius auf derselben Stufe wie im vergangenen Jahre das Attentat auf Plehwe[3]. Es atmet sich förmlich leichter, die Luft scheint reiner, nachdem eine der abstoßendsten und beleidigendsten Bestien des absolutistischen Regimes ein so schnödes Ende gefunden hat und wie ein toller Hund auf dem Straßenpflaster verendet ist.

Diese Empfindungen sind so natürlich bei allen Kulturmenschen, daß die Tat in Moskau in unserer Presse allgemein und wie aus einem Munde als sittlicher Racheakt, als Vergeltungsakt aufgefaßt wurde. Aber mit der ganz selbstverständlichen Empfindung der moralischen Befriedigung ist die Bedeutung dieser wichtigen Erscheinung des revolutionären Kampfes in Rußland nicht erschöpft. Vielmehr muß die politische Beurteilung der neuesten terroristischen Tat von den unmittelbaren Eindrücken und Gefühlen ganz unabhängig bleiben.

Politisch betrachtet, muß vor allem der Terror in der gegenwärtigen Situation bedeutend anders ins Auge gefaßt werden als früher. Die eigent-

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[1] Siehe Bd. 1/1, S. 692, Fußnote 1.

[2] Am 17. Februar 1905 wurde im Moskauer Kreml einer der reaktionärsten Vertreter des Zarismus, der Moskauer Generalgouverneur Großfürst Sergej Romanow, von dem Sozialrevolutionär I. P. Kaljajew getötet.

[3] Der Innenminister W. K. Plehwe war am 28. Juli 1904 Opfer eines Attentats des Sozialrevolutionärs J. S. Sasonow geworden.