Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 541

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In revolutionärer Stunde: Was weiter?

Die gegenwärtige Revolution im Zarenreich stellt die Sozialdemokratie vor gänzlich neue Aufgaben, wie sie eine sozialdemokratische Partei noch in keinem Lande vor sich hatte. In allen modernen Staaten entwickelte sich die Arbeiterbewegung erst nach dem Sturz der feudal-absolutistischen Regierungen in breitem Maßstab. In England, in Frankreich, in Deutschland, in Österreich war die Bourgeoisie selbst diejenige Klasse, die im Interesse der freizügigen Entwicklung des Kapitalismus dem Absolutismus seinerzeit den offenen Kampf erklärte, die politische Revolution herbeiführte und parlamentarische, konstitutionelle oder sogar, wie in Frankreich, republikanische Regierungsformen eroberte.

Zwar machte auch in Westeuropa nicht die Bourgeoisie, sondern das arbeitende Volk eigentlich die Revolution. Dieses fiel auf den Barrikaden in der Großen Französischen Revolution wie auch im Jahre 1848 in Wien und in Berlin. Es vergoß sein Blut reichlich in den Gefechten mit den königlichen Truppen, und für den Preis seines Blutes wurden die politischen Freiheiten erkauft, auf denen die Bourgeoisie ihre heutige Herrschaft errichtet hat.

Aber das arbeitende Volk trat in jenen Revolutionen nur als Werkzeug in den Händen der Bourgeoisie auf, die an der Spitze der Bewegung stand. Es war das Kanonenfutter, mit dem sich die Klasse der Kapitalisten den Weg zur Herrschaft bahnte. Die französischen und deutschen Arbeiter hatten sich damals noch nicht von der Bourgeoisie und dem Kleinbürgertum als eine besondere Klasse und Partei losgelöst, sie verstanden ihre besonderen Arbeiterinteressen und deren natürliche Feindschaft gegenüber den Interessen der Bourgeoisie nicht. Sie gingen in die Revolution gegen die absolute Regierung, gerufen von der Kapitalistenklasse, geführt

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