Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 78

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den Einzelstaaten kein zwingender Grund vor, um, wie im Reiche angesichts seiner enormen Militärausgaben, das Budget stets zu verweigern.

Diese Beweisführung jedoch, so nichtig sie ist, scheint immer noch in gewissen Kreisen der Partei ernst genommen zu werden. Und da es sich dabei im Grunde um nichts anderes handelt als um die Einführung derselben Ansichten in die Praxis, die in ihrer allgemeinen Fassung von der großen Mehrheit der Partei eben erst auf dem Parteitag in Hannover[1] abgewiesen wurden, da die Genossen in Baden obendrein weder die ersten noch die einzigen sind, die den Weg der Budgetbewilligungen betreten haben, so ist es notwendig, daß sich die Partei mit der Frage in gründlicher Weise befaßt und endlich einmal den weiteren Experimenten unserer Landtagsabgeordneten mit bürgerlicher Politik den Riegel vorschiebt.

I

Die Tendenz, immer mehr das Verhalten der Sozialdemokratie zur Frage der Taktik, das heißt der Entscheidungen von Fall zu Fall, nach reinen Zweckmäßigkeitsgründen zu machen, ist überhaupt charakteristisch für diejenige Richtung in unserer Partei, der die sozialdemokratischen Grundsätze nicht als ein unentbehrlicher Wegweiser im Kampfe, sondern eher als eine Kettenkugel, als ein Hindernis zur Führung der sogenannten „praktischen Politik“ erscheinen. Man scheint dabei von der naiven Vorstellung auszugehen, daß es genügt, irgendeine Frage als taktische zu bezeichnen, um damit einen Freibrief für alle Verstöße gegen das Programm und die Grundsätze der Partei zu bekommen. Die „Taktik“ wird nach dieser Auffassung sozusagen als ein stiller Winkel ohne polizeiliche Warnungstafel gedacht, wo man nach Herzenslust jeden Schutt und Unrat ablagern darf. Es genügte demnach, stückweise unseren ganzen Klassenkampf aus dem Bereich der Grundsätze in den der Taktik hinüberzuschmuggeln, um auf diese geistreiche und bequeme Weise zwar nicht die kapitalistische Wirtschaftsordnung, aber das sozialdemokratische Programm „auszuhöhlen“ und den Sozialismus selbst zu einer „Frage der Taktik“, das heißt die Partei zu einer rein bürgerlichen zu machen.

Man übersieht dabei, daß die sozialdemokratische Taktik durchaus nicht die Mannigfaltigkeit in der Verletzung der Grundsätze der Sozialdemokratie, sondern die Mannigfaltigkeit in ihrer Anwendung darstellt. Der Taktik unserer Partei sind im voraus durch unsere Grundsätze be-

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[1] Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in Hannover fand vom 9. bis 14. Oktober 1899 statt.