Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 283

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III Rede über die Polenfrage

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Hoffentlich wird die heutige Polendebatte die letzte sein, die einen deutschen Parteitag beschäftigt. Ich hoffe, es wird uns gelingen, entweder die Ursache dieser ewigen Zwistigkeiten aus der Welt zu schaffen oder mindestens dem Heraustragen derselben auf deutsche Parteitage einen Riegel vorzuschieben. Es ist auch höchste Zeit, denn die Verhältnisse haben sich bereits so abnorm gestaltet, daß Abhilfe dringend notwendig ist. Das Vorgehen der polnischen Sonderbündler läuft darauf hinaus, daß die deutschen Genossen Oberschlesiens, welche selbstverständlich nicht zur polnisch-sozialistischen Sonderorganisation gehören können, und die polnischen Genossen, die nicht dazu gehören wollen, ihres Wahlrechtes beraubt oder gezwungen werden, für die ihnen aufoktroyierten Kandidaten zu stimmen, an deren Aufstellung sie nicht teilnehmen durften. Wir sind es gewohnt, daß die Gegner der Arbeiterklasse nach einer Beschränkung des Wahlrechts trachten. Daß aber eine Gruppe von Leuten, welche Anspruch auf den Namen Sozialdemokraten macht, das gleiche tut, das ist eine neue Erscheinung. Es handelt sich hier nicht etwa um einen Nationalitätenkampf innerhalb der deutschen Sozialdemokratie; die polnischen Genossen in Deutschland arbeiten in ihrer überwiegenden Mehrheit Hand in Hand mit den deutschen und gehören zur Gesamtpartei. In der ganzen Provinz Posen hat es die Sondergruppe polnischer Sozialisten nicht gewagt, eigene Kandidaten aufzustellen, ausgenommen einen Wahlkreis, den wir unbesetzt gelassen haben. Die polnischen Arbeiter Posens, soweit sie auf sozialdemokratischem Boden stehen, marschieren in Reih und Glied mit den deutschen Genossen. Es handelt sich vor allem um eine Meinungsverschiedenheit, um eine Spaltung innerhalb der polnischen Sozialdemokratie. Der Kampf wird nicht geführt zwischen polnischen und deutschen Sozialdemokraten, sondern zwischen einer kleinen Gruppe von Sonderbündlern und der Gesamtpartei. Wir haben uns alle Mühe gegeben, eine Verständigung mit der Sondergruppe herbeizuführen, aber sie scheiterte an dem einseitig nationalistischen Standpunkte dieser Gruppe. Man sollte meinen, daß, wenn man unter der Herrschaft desselben Kapitalismus, unter dem Druck desselben Klassenstaates, unter der Fuchtel derselben Polizei und Klassenjustiz steht, man auch dieselben Interessen hätte und eine gemeinsame Partei zur Wahrung dieser Interessen bilden müßte. Diese Wahrheit sollte sogar sozialdemokratischen Säuglingen geläufig sein. (Heiterkeit.) Aber

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[1] Redaktionelle Überschrift.